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AutorenbildUrsi Grimm

[Gastbeitrag] Aus Angst wird Mut: Zivilcourage kann Leben retten

Aktualisiert: 24. Juli 2021

Je mehr Personen anwesend sind, desto mehr sinkt die Bereitschaft einzugreifen.

Zeitungen berichten oft darüber, wie brutale Gewalttaten im öffentlichen Raum geschehen und Passantinnen und Passanten einfach vorbeigehen ohne einzugreifen. Polizeibeamte hören in der Folge oft reuige Zeugenaussagen, die die Geschehnisse durchaus wahrgenommen und als ungerecht und gefährlich empfunden hatten. Doch wer denkt sich beim Lesen solcher Nachrichten nicht, man hätte doch eingegriffen oder zumindest die Polizei gerufen?


„Die wenigsten von uns wissen, wie sie reagieren sollen, wenn es gefährlich wird. Also tun wir lieber nichts und sehen weg.“ Erklärt Ralf Bongartz, Zivilcouragetrainer bei Amnesty International. „Das hilft immer dem Täter, nie dem Opfer. Und im schlimmsten Falle kann es sogar tödlich sein.“ In seinem Buch „Nutze deine Angst“ geht der ehemalige Polizist ausführlich darauf ein, weshalb das Handeln im Ernstfall so schwer fällt. Neben der Angst erwähnt er auch mangelndes Zugehörigkeitsgefühl. In der heutigen Gesellschaft sei es häufig, dass Menschen sich anderen Menschen oder Orten nicht zugehörig fühlen. „Wer sich nicht betroffen fühlt, hat kaum Motivation zu handeln. Man bestätigt sich gegenseitig im Nichthandeln. Zudem legitimiert man die Tat schweigend, was wiederum den Täter stärkt. Je mehr Personen anwesend sind, desto mehr sinkt die Bereitschaft einzugreifen. Das ist das Bystander-Prinzip.“

 

„Charakterlose und gleichgültige Monster“

Studie der Psychologen Darley und Latané, The Unresponsive Bystander, USA, 1970

Nachdem sich in den 1960-er Jahren ein brutaler Raubmord mit zahlreichen tatenlosen Zeugen ereignete, bezeichnete die New York Times sie als „charakterlose und gleichgültige Monster “. Daraufhin führten die Psychologen Darley und Latané eine Studie durch, um dies zu widerlegen und befragten 38 Zeuginnen und Zeugen der schrecklichen Tat:

Laut der Studie fühlt sich eine Person allein zu 80 Prozent verantwortlich, sind es zwei Personen zu je 50 Prozent. Bei fünf Personen sinkt die Bereitschaft einzugreifen bereits auf 30 Prozent. Bei 38 Anwesenden ist die Verantwortung so breit verteilt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Eingreifens Einzelner verschwindend gering wird. Das Wissen um die Tricks des eigenen Bewusstseins jedoch, erhöht die Bereitschaft im Extremfall Einzuschreiten um 50 Prozent.

 

Auf der einen Seite folgen Menschen in Extremsituationen wohl instinktiv einem Überlebenssinn, auf der anderen Seite steht das Bewusstsein und die Möglichkeit des kritischen Hinterfragens. Nicht zuletzt sind die oben beschriebenen Dynamiken durchbrechbar. Es braucht oft nicht mehr als ein Funke, der von einem Einzelnen auf andere überspringt. Ein einzelner Mensch, der den Anfang macht und andere aktiv einbindet, kann bewirken, dass die Situation kippt und die Täter und Täterinnen ihr Vorhaben aufgeben. Denn in den meisten Fällen suchen sie nicht nach ebenbürtigen Gegner, sondern nach leichten Opfern.

 

Zivilcourage-Kurse 2021 bei Amnesty International

Freitag, 28. Mai 2021, 10:00 – 16:00 Uhr, Zürich

Samstag, 11. September 2021, 10:00 – 16:00, Bern

Samstag, 16. Oktober 2021, 10:00 – 16:00, Basel


 

Dieser Gastbeitrag stammt aus der Feder von Ursi Grimm, Mitstudentin von "yours truly" in der Grundstufe Journalismus an der SAL.

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