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AutorenbildChatty Avocado

Black Hole Sünneli* (Teil 1)

Aktualisiert: 18. Sept. 2021

Das SVP-Parteiprogramm für die Jahre 2019 bis 2023 umfasst satte 132 Seiten. Yours truly hat seinen Masochismus kultiviert und sich wacker durchgekämpft. Um mit entschlossener Miene zu ergründen, ob das Lächeln des SVP-Sünnelis aufrichtig oder bloss aufgesetzt ist.

Bild: Pixabay.com (jmexclusives)




In eigener Sache

Ich bin überzeugt, dass man die eigene Weltanschauung in unregelmässigen Abständen hinterfragen sollte. Es sich nicht im kuscheligen Wohlbehagen der auf dem bisherigen Lebensweg zurechtgepusteten Filterblase gemütlich machen. Sondern für sich selbst einfach mal wieder schauen: Bin ich noch auf dem richtigen Weg? Ist die Welt da draussen tatsächlich so, wie ich sie betrachte, oder wurde ich geblendet und habe sie mir bloss gedanklich so gemacht "widdewidde wie sie mir gefällt"?


Wer bereits andere Beiträge dieses Blogs gelesen hat, wird mich nach klassischen Vorstellungen der politischen Schubladisierung wohl in etwa am linksgrünen Rand verorten - und damit einigermassen richtigliegen. Aber: Mir selbst ist diese Einordnung recht herzlich egal. Ich meine nämlich, dass dieses

binäre links/rechts-Denken wenig zielführend bis gefährlich ist. Wenn sich das Stimm- und Wahlverhalten bloss noch darin erschöpft, sich für Variante XY zu entscheiden, weil sie von links/rechts favorisiert wird und/oder vom Bauchgefühl her in eine unverrückbare Weltanschauung passt, dann gute Nacht.


Nach meinem Dafürhalten hat Politik keinen machiavellistischen Zweck (Macht um der Macht willen), sondern einen fundamental gemeinnützigen: Es geht um die Organisation der Gesellschaft mit dem Ziel einer möglichst gerechten Verteilung materieller und ideeller Werte. Prinzipiell hat die Politik also eine ähnliche Aufgabe wie eine halbwegs funktionale Familie: Man schaut, dass es allen möglichst gut geht. Oder, grösser gefasst, dasselbe Ziel wie die Ethik: Eine möglichst gute Welt herbeiführen.


Wie kriegt man das hin? Erstens, indem man sich in nicht-moralischen Fragen auf wissenschaftliche Erkenntnisse abstützt und sich dann für die logisch beste, von einer Mehrheit favorisierte Alternative entscheidet. Zweitens, indem man sich in (auch) moralischen Fragen - und das sind nicht wenige - von einem Ethikrat o.ä. beraten lässt. Auch da wird es zwar oft mehrere Antworten geben, aber eine davon lässt sich üblicherweise am besten begründen - und diese wählt man dann. Man sollte somit stets jener Variante den Vorzug geben, für die es unbesehen der persönlichen Präferenzen und ungeachtet jeden Partikularinteresses die besten Argumente gibt. Und folglich konsequent jene Politiker*innen wählen, die sich am häufigsten für diese am besten zu rechtfertigenden Varianten einsetzen.


Aber wieso zur Hölle tue ich mir das SVP-Parteiprogramm an? Um einerseits, wie eingangs erwähnt, meine Weltanschauung einem Stresstest zu unterziehen. Und andererseits, um zu prüfen, ob die selbsternannte "Partei des Mittelstands" hier und dort ja vielleicht doch das eine oder andere gute Argument hat. Letztlich verspreche ich mir von dieser Auseinandersetzung, dass ich meine Haltung gegenüber den wichtigsten politischen Themen abgleichen und schärfen kann.


Diese Beitragsserie ist entlang der Kapitelstruktur des SVP-Parteiprogramms aufgebaut: Pro Kapitel die Überschrift gemäss Parteiprogramm, darunter je möglichst sachlich und nicht wertend die Positionen und Argumente der SVP zusammengefasst, gefolgt von einer zwar immer noch möglichst sachlichen, aber doch eher ungehemmt wertenden Einordnung meinerseits, letztlich abgeschmeckt mit meinen Ideen und Vorschlägen zum jeweiligen Thema.



Freiheit und Sicherheit

Laut SVP sollte das Staatswesen den Bürgern primär Sicherheit geben, damit sich diese in Frieden und Freiheit selbstbestimmt entfalten können. Aspekte und Forderungen dieses obersten Prinzips seien:

  • Direkte Demokratie

  • Kein EU-Beitritt / keine Übernahme internationalen Rechts

  • Freie Meinungsäusserung

  • Freie Wahl der Lebensform, des Arbeitsplatzes, der Freizeitgestaltung und der Verkehrsmittel

  • Tiefere Steuern und Abgaben

  • Besserer Schutz des Eigentums

  • Steuerung der Zuwanderung und Inländervorrang

  • Finanzielle Sicherung von AHV, IV und ALV

  • Ernährungssicherheit durch eigene Landwirtschaft

  • Landesverteidigung (Armee)

Zur Mehrheit dieser Punkte baut die SVP bereits im einleitenden Kapitel ihres Parteiprogramms eine bemerkenswerte Drohkulisse auf: Politische Mehrheiten in Bern ("Eliten") wollten die direkte Demokratie abschaffen und die Bundesverfassung aushebeln, um die Schweiz in die EU zu führen, damit sich diese Eliten dadurch Macht, Privilegien und Prestige verschaffen könnten.


Der Politik der Anderen sei anzulasten, dass viele Frauen und ältere Mitbürger sich heutzutage nachts nicht mehr auf die Strasse wagten, wo "Morde, Messerstechereien, Vergewaltigungen, Einbrüche, Drohungen und Raub" zur Tagesordnung gehörten.

"Unser schönes Land droht zu verrohen und verludern."

Polizisten, ja sogar Sanitäter würden angegriffen, mancherorts herrsche das Faustrecht und in den Städten komme es zu Ausschreitungen. Der Ausländeranteil an den Straftaten sei alarmierend hoch. Auch die Arbeitsplätze und die soziale Sicherheit seien bedroht, und die Armee immer weniger in der Lage, ihren Auftrag zu erfüllen. Aber hierfür kämpfe, ja gerade dies sei die SVP: Freiheit und Sicherheit.

 

Kommentar: Inhaltlich hat die SVP hier durchaus ein paar Punkte - konkret: Freie Meinungsäusserung und allgemeine Freiheiten -, die kaum zu bestreiten sind. Demokratie an sich ist ebenfalls unstrittig, wobei man aber einräumen muss, dass die direkte Demokratie nicht nur Vorteile hat, weil sie bisweilen auch unvernünftige Resultate zeitigt (z.B. Ablehnung Konzernverantwortungsinitiative).


Gleich dieses erste Kapitel sendet jedoch eine grundlegende und unmissverständliche Botschaft, die da sinngemäss lautet: "Leute, ihr müsst Angst haben, und zwar so richtig! Von allen Seiten wird die Schweiz angefeindet und angegriffen, von innen wie aussen, und man will euch alles wegnehmen, sogar euer Leben. Der Feind, das sind die hier: Alle Politiker, die nicht bei der SVP sind, die EU, Ausländer und Asylanten. Eure einzige Freundin und Erlöserin: Die SVP! Wählt uns, sonst wird's ganz übel!"


Diese Botschaft weckt Erinnerungen an eine u.a. aus dem Deutschland der 1930er-Jahre bekannte Propaganda. Vor dem Hintergrund grosser Unsicherheiten im Zuge der damaligen Weltwirtschaftskrise erhielten radikale Positionen immer mehr Zustimmung aus dem Volk. Insbesondere die NSDAP profitierte, indem sie sich auf die Verletzung der nationalen Ehre durch den Versailler Vertrag berief, den Menschen einfachste Lösungen für ihre Probleme anbot, und mit der Dolchstosslegende die Feinde benannte, die sich gegen die Nation verschworen hatten: Sozialdemokraten und Juden.


Nein, ich vergleiche die SVP nicht mit der NSDAP, aber ich unterstelle ihr, dass sie sich bewusst derselben Kommunikationsmuster bedient: Romantisierte Überhöhung des Vaterlandes, gezielte Bewirtschaftung von Ängsten und Sorgen der Menschen unter Massgabe vermeintlich simpler Lösungen, Konstruktion einer Verschwörung - und insbesondere Zurschaustellung und Herabwürdigung des Gegners als Schuldigen und Ursache für alle Probleme des Landes, damit die Verängstigten und Frustrierten klare Zielscheiben für ihren ansonsten ungelenkten Zorn haben. Also munter hereinspaziert, liebe Patrioten, das "all you can hate"-Büfett ist angerichtet!


In dieses Bild passen auch die immer mal wieder auftretenden "Einzelfälle" von SVP-Politikern, die sich mit rassistischen oder andersartig menschenverachtenden Äusserungen hervortun. Man fragt sich: Ab welchem Punkt wird aus Einzelfällen ein System? Und man fragt sich auch: Muss das sein, muss man derart angriffig-manipulativ politisieren? Kann man nicht einfach sachlich und nüchtern bleiben?



Wir sind Heimat

Gemäss der SVP habe die Schweiz ureigene Werte:

  • Freiheit

  • Unabhängigkeit

  • Neutralität

  • Direkte Demokratie

  • Föderalismus

  • Marktwirtschaft

Keimzelle der Heimat sei die Familie, in der Väter und Mütter ihre Kinder erziehen und ihnen die Schweizer Werte vorleben. Die Schweiz, das sei auch Milizsystem, worin sich die Bürger freiwillig, ehrenamtlich und eigenverantwortlich einsetzten, statt nur nach mehr Staat zu rufen. Und die Schweiz, die Heimat, sei auch in Dingen wie knusprigem Brot, Cervelat und Aromat repräsentiert.


Um in der Schweiz seine Heimat finden und dem Patriotismus frönen zu dürfen, müsse man sich aber zu den schweizerischen Werten bekennen und sie auch aktiv leben. Gerade dies gehe dem politischen Gegner jedoch ab, über ihn schreibt die SVP:

"Die Linke hat ein gestörtes Verhältnis zur Heimat. Ihr selbstquälerischer Umgang mit der Schweiz schadet unserem Land."

Daher, so die SVP weiter, dränge die Linke auch in die Europäische Union, wirke (absichtlich oder fahrlässig) mit an der Bildung von Parallelgesellschaften und lasse extremistische Strömungen wie den politischen Islam gewähren, womit die Grundlagen der schweizerischen Identität zerstört würden.


In der Aufzählung "Bekenntnis zur schweizerischen Heimat" am Kapitelende finden sich Forderungen wie jene, dass Schüler die Landeshymne ebenso kennen sollen wie Geschichte, Geographie, Bräuche, Traditionen und christliche Feiertage der Schweiz. Gelobt wird u.a. auch die Sorge zu Kulturlandschaft und Natur. Und mit mahnendem Finger wird von Zuwandernden die Anpassung an die und das Bekenntnis zu den Schweizer Werten gefordert, ansonsten man frei sei wieder zu gehen.

 

Kommentar: Wer behauptet, ein Land habe eigene Werte, ist weltanschaulich ein Kulturrelativist und geht als solcher davon aus, dass jede Kultur ihre je eigenen Sitten- und Moralvorstellungen habe. Aus einer solchen metaethischen Position kann z.B. auch die allgemeine Gültigkeit von Menschenrechten in Abrede gestellt werden, da solche Rechte von dieser Warte aus betrachtet nur dann Bestand haben, wenn sie in der jeweiligen Kultur verankert und akzeptiert sind.


Demgegenüber behauptet der (von mir klar favorisierte) Universalismus bzw. Realismus, moralische Tatsachen hätten keinen Kultur- oder Zeitbezug, d.h. Ehrenmorde, Genitalverstümmelungen oder Sklaverei seien zu jeder Zeit und an jedem Ort der Weltgeschichte falsch gewesen. Für diese Haltung lassen sich deutlich mehr und deutlich bessere Argumente finden als für den Relativismus. Man hätte beispielsweise bloss überall auf der Welt die Sklaven um eine moralische Einordnung ihres Jochs bitten müssen; höchstwahrscheinlich hätten auch sie sich für Freiheit und Unabhängigkeit ausgesprochen. Übrigens: Neben der SVP sind auch und gerade Islamisten oft vehemente Kulturrelativisten.


Nachdem man sich im ersten Kapitel diesbezüglich noch etwas zurückgehalten hatte, wird hier im zweiten Kapitel erstmals die Linke an den Pranger gestellt. Ein vollständiger Absatz ist der Verurteilung des politischen Feindes gewidmet, der darin nur wenig subtil quasi als Vaterlandsverräter und Zerstörer der schönen Schweiz gebrandmarkt wird, den es deshalb aufrichtig zu verachten gilt.


Im zweiten Kapitel findet sich auch der vermutlich nicht ganz zufällig platzierte Passus "mörderische Utopien des Sozialismus", wohl damit die Leserschaft via Wortteil "sozial" sehr leicht eine gedankliche Brücke zu Sozialdemokraten schlagen und diese damit auch gleich als mörderisch identifizieren kann. Inzwischen hat sich ja, siehe letzte US-Präsidentschaftswahlen, am rechten Rand des politischen Spektrums eingebürgert, alles als "Sozialismus" zu verunglimpfen, was sich linkerhand der eigenen Position befindet. Inhaltlich zwar komplett verfehlt, aber es scheint zu ziehen.


Nebenbei: Wenn man die Heimat mit einer derart inbrünstig-feierlichen Ergriffenheit besingt, dann sollte man womöglich in Betracht ziehen, dass Cervelat und Aromat nur mit sehr viel Phantasie und gutem Willen überhaupt als Lebensmittel zu bezeichnen sind, und diese Produkte daher aus qualitativen Überlegungen eher ungeeignet scheinen, einen Zusammenhang zur beneidenswert wunderbaren Einzigartigkeit der Schweiz herzustellen. Nur so als Input.



Aussenpolitik

Ab diesem Kapitel des Parteiprogramms wird es konkreter, nun präsentiert die SVP pro Thema ihre Standpunkte und zeigt jeweils auch auf, welche Vorteile diese Standpunkte der Wählerschaft bringen sollen. Beim ersten Themenbereich, der Aussenpolitik, werden gleich zu Beginn des Kapitels erneut die Feinde bezeichnet: Bundesrat (offenbar inklusive beider SVP-Bundesräte), Bundesverwaltung, aber auch Gerichte und diverse Rechtsprofessoren. Das erklärte Ziel dieser Gegenspieler: Die Verfassung schleichend unterwandern.

"Der Ausverkauf der Schweizer Souveränität und Selbstbestimmung durch die politischen Eliten muss gestoppt werden."

Die SVP verlangt, dass sich gerade das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) um eine neutrale Haltung in Konflikten zu bemühen habe. Stattdessen liessen sich Diplomaten und Bundesräte aber "lieber im Scheinwerferlicht feiern", indem sie in Auseinandersetzungen offen Partei bezögen. Es widerspreche auch diametral der Neutralität der Schweiz, wenn sie einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat anstrebe, was seit Jahren der Plan der "classe politique" in Bern sei. Der Bund dürfe zudem keine einseitige Sanktionspolitik (z.B. von EU, UNO oder OSZE) mittragen.


Ein Dorn im Auge der SVP ist auch der punktuelle Vorrang internationalen Rechts vor nationalen Rechtsnormen. Völkerrecht und Menschenrechte werden als ausuferndes "fremdes" Recht tituliert, mit dem internationale Gerichte wie der EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) die Verfassung der Staaten missachteten und sich unzulässig in nationale Belange einmischten.


Nach dem Willen der SVP sollen die jährlichen Ausgaben für Entwicklungshilfe von derzeit drei auf maximal noch zwei Milliarden Franken reduziert, und die weitere Vergabe solcher Gelder neu an Rückführungsabkommen für Asylanten und illegale Migranten gekoppelt werden. Die Partei stellt fest, dass es "dem afrikanischen Kontinent nicht entscheidend besser" gehe als früher und teure staatliche Hilfsprojekte daher wohl ihre Ziele verfehlt hätten. Vielmehr begünstige und ermögliche Entwicklungshilfe überhaupt erst die Migration, indem sie ungute Strukturen in den jeweiligen Ländern zementiere.


Als beste Grundlage für freundschaftliche Beziehungen und dauerhaften Frieden mit allen Ländern sieht die SVP den Freihandel. Denn Freiheit, Innovation und Erfolg lebten von Konkurrenz und Wettbewerb. Zudem sei es nicht das Verdienst von "selbstgefälligen Eliten in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Medien", dass die Schweiz heute nicht EU- und EWR-Mitglied sei, sondern dies wäre dem Kampf der SVP zu verdanken, und deshalb gehe es der Schweiz heute wirtschaftlich besser denn je.

 

Kommentar: In der Einleitung zum Kapitel "Aussenpolitik" meint Unternehmerin und Primarlehrerin Petra Wyss sinngemäss, unsere Vorfahren hätten begriffen und geachtet, dass Menschen glücklich seien, wenn sie frei und selbstbestimmt lebten, und deshalb sei die Schweiz heute so erfolgreich. Die Sache mit dem Glück will ich nicht bestreiten, aber bei den Ursachen des Erfolgs habe ich gewisse Vorbehalte.


Am Wiener Kongress anno 1815 zogen die damaligen Grossmächte die innereuropäischen Grenzen neu und richteten dabei die Schweiz als neutrale Pufferzone am Nabel (oder Anus, je nach Perspektive) des Kontinents ein. Deshalb konnte das Land fortan allen kriegerischen Auseinandersetzungen fernbleiben, sich ungestört entwickeln und Handel mit der Welt betreiben. Die Schweiz verdankte ihre Prosperität dabei nicht zuletzt auch Profiten aus dem europäischen Kolonialismus: Selbst ohne eigene Kolonien liess sich mit Plantagen in Südamerika und Afrika ein schöner Reibach machen.


Exemplarisch für dieses unmoralische Profitstreben steht die Patrizierfamilie Escher vom Glas, die zunächst im frühen 19. Jahrhundert mit Landspekulationen und Handelsgeschäften in Nordamerika schwerreich geworden war. Daneben betrieben die Eschers einen Kolonialwarenhandel und waren u.a. auf Kuba im Besitz einer Kaffeeplantage, zu der auch 80 Sklaven gehörten, die, von Aufsehern mit Hunden bewacht, 14 Stunden täglich schufteten. Familienspross Alfred Escher gründete später die Schweizerische Kreditanstalt (heutige Grossbank Credit Suisse). Unter dem Bankgeheimnis wurden fortan Gelder von Diktatoren, korrupten Politikern und Faschisten aller Herren Länder verwaltet.


Kurzum: Jaja, Frau Wyss, unsere Vorfahren waren wohl glücklich, weil frei und selbstbestimmt, aber der wirtschaftliche Erfolg der Schweiz wurde zu einem nicht ganz unwesentlichen Teil mit der Unfreiheit und Fremdbestimmung anderer Menschen erkauft, die bedauerlicherweise das Pech hatten, innerhalb der falschen Landesgrenzen geboren worden zu sein.


Anyway. Auch im dritten Kapitel wird die SVP nicht müde, Feindbilder zu zementieren. Im Grunde sind gemäss Sünnelipartei mit Ausnahme ihrer selbst so ziemlich alle mit Vollgas daran, die Schweiz zu ruinieren und abzuschaffen. Das auch in diesem Kapitel bemühte Feindbild der "politische Eliten" ist geradezu hirntot absurd vor dem Hintergrund, dass die SVP zwei der sieben Bundesräte und im Nationalrat die mit Abstand grösste Fraktion stellt - und mit dem Rückhalt der Familie Blocher auf annähernd unlimitierte finanzielle Ressourcen zurückgreifen kann. Keine Partei hat mehr Macht und Einfluss. Wenn es eine politische Elite gibt, dann wird sie durch die SVP repräsentiert.


Aber bleiben wir bei der Sache, Aussenpolitik also: Sofern man sich der Vernunft bedient, wird schnell klar, dass die grössten Problemkreise wie etwa Armut, Migration oder Klimawandel nicht nur miteinander verwoben sind, sondern transnationale bis globale Ursachen haben und ihrem Wesen nach somit nicht von konkurrierenden, sondern nur von kooperierenden Staaten gelöst werden können. Eine Beteiligung auch der Schweiz an der Lösung dieser Probleme wäre im ureigenen Interesse des Landes, weil dadurch die Welt insgesamt sicherer würde.


Dasselbe gilt für die Übernahme universeller Normen wie Völker- und Menschenrechte, gegen die es ohnehin keine vernünftigen Argumente gibt (ökonomische Vorteilsnahme zählt nicht als vernünftiges Argument). In beiden Fällen - Kooperation und Rechtsübernahme - gibt die Schweiz nicht etwa ihre Selbstbestimmung auf, sondern sie anerkennt bloss selbstbestimmt Grundsätze, auf die man so oder so kommen muss, wenn man die Welt und damit auch die Schweiz verbessern möchte.


Eindeutig unmoralisch ist es, die Neutralität als Argument gegen einen Positionsbezug vorzuschützen. Nach Auffassung der SVP sollte die offizielle Schweiz selbst bei krassesten Verstössen anderer Länder einfach schön die Schnauze halten. Wenn aber Putin seine Gegner kurzerhand in Arbeitslager steckt, das Militärregime in Myanmar unbewaffnete Demonstranten über den Haufen schiesst, wenn Assad in Syrien die eigene Bevölkerung mit Giftgas einnebelt, wenn die KP in China an den Uiguren einen kulturellen Genozid verübt - dann macht sich jedes Land, das nur schweigend zuschaut, einer Billigung dieser Verbrechen schuldig. Gerade für ein Land wie die Schweiz mit ihrer auch von der SVP hochgelobten humanitären Tradition ist ein solches Verhalten eine Schande. So wird Neutralität quasi zum Niqab, den sich die offizielle Schweiz überstreift, um bloss nicht ihr Gesicht zeigen zu müssen.


Und schliesslich kommen wir noch zur Entwicklungshilfe. Die SVP liegt leider nicht ganz falsch mit der Behauptung, Entwicklungshilfe sei eher nicht so wirksam. Völlig verfehlt ist zwar die Darstellung, solche Hilfen begünstigten oder ermöglichten überhaupt erst Migration, aber dadurch schlägt die SVP gleich zwei Fliegen mit einer Klappe, denn wenn man Entwicklungshilfe als Determinante der Migration hinstellt, muss man gegen Entwicklungshilfe sein, wenn man gegen Migration ist. Auf die tatsächlichen Ursachen der Migration (und die mangelhafte Wirksamkeit der Entwicklungshilfe) gehe ich in einem späteren Kapitel noch ausführlich ein.


In einer Gesamtbetrachtung laufen die aussenpolitischen Standpunkte der SVP ihren eigenen obersten Zielen - Freiheit und Sicherheit - diametral zuwider, weil dadurch die Welt unsicherer und damit letztlich auch unfreier würde. Denn solange die Ursachen transnationaler und globaler Probleme nicht kooperativ angegangen werden, verbleiben diese Probleme unlösbar und weiten sich aus.

 

Meine Vorstellungen von Aussenpolitik wären etwa diese hier:

  • Neutralität ist rein militärisch zu verstehen: Die Schweiz beteiligt sich nicht an Kriegen und auch an keinen Militärbündnissen. Abgesehen davon darf und soll auch ein neutrales Land klare Kante zeigen, indem es offen und ungeschönt Position für eine bessere Welt für alle bezieht.

  • Um einen Beitrag zur Lösung transnationaler und globaler Probleme zu leisten und sich für eine bessere Welt für alle einzusetzen, soll in sämtlichen darauf ausgerichteten internationalen Organisationen aktiv Einsitz genommen werden.

  • Finanzielle Unterstützungen an internationale Organisationen sowie Entwicklungshilfe sind im Rahmen der volkswirtschaftlichen Möglichkeiten auszuweiten - aber stets nur vorbehältlich belegter Effizienz und Wirksamkeit des Mitteleinsatzes zu gewähren.

  • Staatenbündnissen wie der Europäischen Union soll die Schweiz nur dann beitreten, wenn diese Bündnisse die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hochhalten und sich auch ihrerseits gestützt auf Logik und Moral konsequent für eine bessere Welt für alle einsetzen.



Werkplatz Schweiz

Das Kapitel beginnt mit "sozial ist, wer Arbeitsplätze schafft", denn Arbeit sei das zuverlässigste Mittel gegen Armut. Heutzutage werde aber Gewinnstreben moralisch in Frage gestellt und gerade die Banken seien feindlichen Angriffen aus dem Ausland ausgesetzt, die von Gier und Neid angetrieben würden, und bei denen sich der Bundesrat zum willfährigen Erfüllungsgehilfen mache.


Die SVP sieht sich aber nicht bloss als Gralshüterin der Finanzbranche, sondern auch als jene Partei, die am konsequentesten kleine und mittelgrosse Unternehmen (KMU) fördere, als Bewahrerin der Wirtschaft geradezu, die nicht zuletzt auch vom öffentlichen Sektor bedroht werde:

"Anstelle von Markt und Wettbewerb treten ... staatliche Vorschriften und Interventionismus sowie internationale Gleichmacherei, welche die Unternehmer aus dem Markt drängen."

Für einen schlagkräftigen Werkplatz Schweiz will die SVP insbesondere:

  • Deregulierung: Möglichst wenige, das freie Wirtschaften behindernde Gesetze und Vorgaben, z.B. im Arbeitsrecht und bei der Lohnbildung, wenige bis keine Gesamtarbeitsverträge, tiefe Lohnnebenkosten, keine Quotenregelungen, flexible Arbeitszeiterfassung. Zudem soll die Privatisierung öffentlicher Aufgaben intensiviert werden.

  • Freihandel (exkl. Landwirtschaft): Die Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) wird begrüsst, da sich diese einen liberalen Welthandel auf die Fahne geschrieben habe.

Folge man den Forderungen der SVP, so bringe das den Arbeitnehmern einen sicheren Arbeitsplatz und den Unternehmen bzw. Arbeitgebern mehr Geld für Innovationen sowie weniger Bürokratie und damit insgesamt eine bessere Marktposition.

 

Kommentar: Das ökonomische Rezept der SVP heisst Neoliberalismus. Jene Doktrin also, die in den vergangenen etwa 40 Jahren zwar zu Wirtschaftswachstum geführt hat, aber auch dazu, dass die Früchte dieses Wachstums von immer weniger Reichen und Grosskonzernen abgeerntet werden. Im Vorzeigeland des Neoliberalismus, den USA, ist diese Entwicklung am besten ersichtlich: Im 2017 hatten die drei reichsten Menschen gleich viel Vermögen wie die gesamte ärmere Hälfte des Landes. Aber die SVP kann mittels Darreichung der neoliberalen Suppe auch eine weitere hässliche Fliege präsentieren, die es zu zerquetschen gilt: Den Staat an sich, der sich die Wirtschaft zu beschränken anmasst.


Faktisch predigt der Neoliberalismus das heilige Wasser des freien Marktes, aber säuft den sündigen Wein der sukzessive anwachsenden Konzentration und Monopolisierung - also genau das Gegenstück eines freien Marktes. Wettbewerb findet je länger je weniger statt und als Folge davon wird auch gleich die Demokratie untergraben, weil Reiche und Grosskonzerne vermehrt Einfluss auf die Politik nehmen. Durch Privatisierungen wird öffentliches Eigentum der demokratischen Kontrolle entzogen.


Wenn die SVP den Arbeitnehmern verspricht, ihre Linie führe zu einem sicheren Arbeitsplatz, dann ist das nichts weniger als eine brandschwarze Lüge. Eine neoliberale Wirtschaftspolitik, die den Profit zur Gottheit erhebt, kümmert sich nämlich keinen Deut um die Interessen ihrer Humanressourcen. Die Linie der SVP ist einseitig auf die Interessen der Unternehmer ausgerichtet, damit diese alle Anstrengungen auf Profitmaximierung ausrichten können. Faire Löhne? Arbeitssicherheit? Geregelte Arbeitszeiten und Ferien? Anständige Sozialleistungen? Pustekuchen! Das neoliberale Dogma führt letztlich dazu, dass man wie in den USA mehrere Jobs benötigt, um sich über Wasser zu halten, vgl. auch diesen Text.


Und dann wäre da noch die Sache mit dem Welt- und Menschenbild. Im Neoliberalismus wird das Konkurrenzprinzip verabsolutiert und glorifiziert, was nichts weniger heisst als "es ist gut, wenn der Starke gegen den Schwachen kämpft und gewinnt, selbst wenn die Spiesse nicht gleich lang sind". Auf der internationalen Ebene kann dieses Credo gelesen werden als "wir setzen uns gegen das Fremde durch", womit sich der braune Kreis schliesst.


Auch mit ihren Forderungen zur Wirtschaftspolitik verrät die SVP ihre eigenen Ideale: Erstens bedeuten Deregulierungen im Arbeitsmarkt nichts anderes, als dass die Arbeitnehmerrechte reduziert werden, wodurch deren Freiheiten zugunsten jener der Arbeitgeber eine Einschränkung erfahren. Und zweitens mündet eine allgemeine Deregulierung der Wirtschaft langfristig in einer Untergrabung der Demokratie und führt also zu weniger Freiheit und Sicherheit für alle - mit Ausnahme der Reichen und Mächtigen.

 

Meine Vorstellungen von Wirtschaftspolitik wären etwa diese hier:

  • Finale Einmottung aller neoliberalen Vorstellungen und Massnahmen, Rückkehr zu einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik à la Keynesianismus.

  • Einführung eines existenzsichernden, bedingungslosen Grundeinkommens als Ersatz für nahezu alle Sozialwerke (AHV, ALV, Sozialhilfe usw.). Ein solches Grundeinkommen wäre über eine schärfere Steuerprogression und/oder eine Finanztransaktionssteuer finanzierbar.

  • Regulatorische Sicherstellung einer gerechten, von tatsächlicher Leistung (nicht bloss sinnleerer "Wertschöpfung") abhängigen Entlöhnung, sodass nicht mehr widersprüchlich die härtesten Jobs am schlechtesten bezahlt sind. Zudem Gewährleistung fairer Arbeitsbedingungen.

  • Einführung eines Rechts auf Arbeit, damit alle, die arbeiten wollen, einen Arbeitsplatz erhalten. Damit verbunden sind Reglementierungen, die die Arbeitgeber verpflichten, die nötigen Stellen zur Verfügung zu halten, nötigenfalls per Reduktion der betrieblichen Jahresarbeitszeit.

  • Keine Privatisierung materieller und ideeller Güter der Grund- und Menschenrechte sowie der unabdingbar öffentlichen Aufgaben: Soziale Sicherheit und Wohlfahrt, Polizei, Gesundheitswesen, Asylwesen, Bildungswesen, öffentlicher Verkehr, Energie- und Wasserversorgung, Entsorgung.

  • Freihandelsabkommen sind an die Bedingungen einer besseren Welt zu knüpfen und deshalb nur dann abzuschliessen, wenn Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit belegbar erfüllt sind.


 

* Es ist ja eigentlich immer ein wenig doof, wenn man seine Witzchen auch noch erklären muss, weil sie womöglich um zu viele Ecken gedacht sind. Aber sei's drum. Der Titel dieser Beitragsserie nimmt Bezug auf einen Song aus den 90ern (Soundgarden - Black Hole Sun), in dessen Video eine kleinbürgerliche "heile Welt"-Fassade dekonstruiert wird. Zudem hielt ich den Kontrast zwischen dem dunklen Verderben eines schwarzen Lochs und der warmen Lebensbejahung einer Sonne für einigermassen geeignet, als Titel herzuhalten. Im Übrigen kollabieren gewisse Sonnen am Ende ihrer Brenndauer zu schwarzen Löchern, also sozusagen dann, wenn sie ihr Pulver verschossen haben und Zeit für etwas Neues ist.


Anyway, zum zweiten Teil dieser Beitragsreihe geht's hier.

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