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AutorenbildChatty Avocado

Contra Verhüllungsverbot: Kommentar zum Gastbeitrag "Burko"

Für yours truly war es interessant festzustellen, dass bezüglich der Initiative "Ja zum Verhüllungsverbot" auch Menschen mit gleichen Zielen und Werten zu konträren Schlussfolgerungen kommen können. Versuch einer Gegendarstellung und Überzeugung.

Bild: Pixabay.com (travelphotographer)


Die Autorin des Gastbeitrags "Burko - die Augenbinde für den provozierten Mann" ist eine glühende Verfechterin der Frauen- und Menschenrechte und zielt auf deren globale Um- und Durchsetzung ab. Das ist gut und richtig so. Kein vernünftiger, aufgeklärter Mensch kann dazu eine Gegenposition einnehmen. Wer eine Frau ihres Geschlechts wegen als minderwertiges Wesen betrachtet oder behandelt, ist ein vollendet unmoralischer, wenn nicht gar krimineller Charakterlump.


Ich habe meine Überlegungen zur Initiative bereits in einem anderen Beitrag dargelegt. An dieser Stelle werde ich daher bloss noch auf die wichtigsten Argumente von Jameela Jaipur eingehen.


Freiheit

Bestandteil der universellen Menschenrechte sind u.a. Freiheitsrechte, wozu die Handlungsfreiheit zählt. Unter den Begriff der Handlungsfreiheit fällt sinngemäss auch, dass man seine Bekleidung grundsätzlich nach eigenem Ermessen bestimmen darf.


Ein durchsetzbares Recht, sich in jeder Situation beliebig zu kleiden oder zu vermummen, besteht zwar nicht, aber die Beschränkung dieser textilen Handlungsfreiheit ist nur per Gesetz möglich, z.B. im Arbeitsrecht als vorgeschriebene Berufskleidung oder in anderen Rechtsnormen als Pflicht zur Enthüllung des Gesichts bei Behördengängen o.ä.


Für gesetzliche Regelungen hinsichtlich allgemeiner, den vorwiegend privaten Bereich betreffender Kleidervorschriften sollte es aber zwingende und sehr gute Gründe geben, deren Ziele nicht anderweitig (besser) realisiert werden können. Hier ist u.a. zu bedenken, dass mit der Annahme der Initiative auch Freizeitaktivitäten wie Halloween oder Cosplay erschwert bis verunmöglicht würden.


Religion

Die Autorin meint, es gebe keine religiöse Rechtfertigung, sich gegenüber anderen Menschen ständig zu verhüllen. Religionen benötigen aber ohnehin keine objektiven Rechtfertigungsgründe für ihre Kulthandlungen - wozu auch Kleidervorschriften gehören -, denn diese Kulthandlungen sind wie die Religionen insgesamt ihrem Wesen nach irrational, d.h. nicht logisch erklärbar.


Wer sich aus freien Stücken einer Religion und ihren Kleidervorschriften unterordnet, sollte dies im Rahmen seiner Freiheitsrechte grundsätzlich tun dürfen. Selbst wenn die namens der Religion getragenen Kleider (in anderen Ländern) Symbole der Unterdrückung sein sollten. Es ist nicht Aufgabe des Staates, Menschen vor einer selbstgewählten Entwürdigung zu schützen.


Hier ist aber sehr deutlich zu betonen, dass die Religionsfreiheit kein höherwertiges Gut ist, kein Deckmantel und ganz gewiss auch keine Legitimation für unmoralische oder illegale Handlungen. Kurzum: Moral und Gesetz stehen immer über der Religionsfreiheit - niemals umgekehrt.


Freiwilligkeit

Die kontraintuitive Prämisse der Autorin, keine einzige Frau weltweit würde den Niqab freiwillig tragen, ist erwiesenermassen falsch, wie beispielsweise eine Studie der Universität Luzern ergab. Auch die Annahme der Autorin, eine Frau würde den Niqab sicher individuell verschönern, sofern sie ihn freiwillig trüge, hat keine Grundlage. Uniforme Kleidervorschriften dienen als eindeutiges und unverwechselbares Zeichen einer Gemeinschaft, Individualisierungen sind unerwünscht.


Nun hat Jameela Jaipur sicher recht mit der Aussage, der Niqab werde in streng muslimisch geprägten Ländern wie Saudi-Arabien kaum je freiwillig getragen, ebenso wenig sei dort die Religionszugehörigkeit frei wählbar. Nur: An den Verhältnissen in solchen Ländern wird die Initiative gewiss nichts ändern. Und für die Schweiz bzw. die hier besprochene Initiative sind diese Länder irrelevant - so unverständlich und bisweilen abscheulich dortige Verhältnisse auch sein mögen.


Zwang

Nehmen wir für einen Moment an, dass auch in der Schweiz Frauen zum Tragen des Niqab gezwungen werden. Dann gäbe es eventuell gute Gründe, die Gesellschaft mit einem Verhüllungsverbot zu belegen und die private Bekleidungsfreiheit zu beschränken. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns aber fragen, ob sich die Situation der betroffenen Frauen durch die Annahme der Initiative verbesserte.


Ich halte diese Auswirkung eines Verhüllungsverbots für wenig wahrscheinlich. Sofern ein Mann seine Frau zum Tragen des Niqab nötigt, wird ein Verhüllungsverbot die absurde und verachtenswerte Geisteshaltung dieses Mannes kaum korrigieren. Und die Frau wird demnach durch ein solches Verbot auch nicht besser gestellt oder gar befreit werden.


Mit dieser Einschätzung kann ich zugegebenermassen falsch liegen. Für diesen Fall ist jedoch zu ergänzend fragen, ob die Situation der betroffenen Frauen nicht anderweitig verbessert werden kann, das heisst ohne gleich die Allgemeinheit mit einem kategorischen Verhüllungsverbot zu belegen.


Grundfrage

Die Autorin ist der Auffassung, die Grundfrage im vorliegenden Zusammenhang müsse so lauten:


Dürfen wir zulassen, dass Frauen ein Sack über den Kopf geworfen wird und sie von ihrer Umwelt abgegrenzt und aus dem menschlichen und gesellschaftlichen Miteinander gerissen werden?

Die Antwort ist klar: Natürlich dürfen wir nicht! Und wir tun es auch nicht. Die betroffenen Frauen haben schon heute die Möglichkeit, auf juristischem Wege gegen die Nötigung oder andere Verletzungen ihrer Rechte vorzugehen. Wenn sie es nicht tun und also ihre juristischen Möglichkeiten nicht ausschöpfen, werden sie dies auch in Zukunft nicht tun. Ein neuer, völlig redundanter Gesetzesartikel wird hier keine Veränderung zum Positiven bewirken können.


Zusammenfassung

Jameela Jaipur erkennt völlig richtig, dass die wahre Problemursache in den Köpfen jener Männer liegt, die ihre Frauen unterdrücken. Diese Ursache wird mittels eines Verhüllungsverbotes aber nicht beseitigt. Der Zwang zum Niqab ist dergestalt das Symptom einer viel tiefer liegenden Krankheit. Und wenn wir eine Krankheit wirklich heilen wollen, dann reicht Symptombekämpfung nie aus.


Die Autorin will unterdrückte Frauen aus ihren textilen Gefängnissen befreien. Das will auch ich. Aber das kann ich nicht, indem ich mit der Annahme dieser Initiative dafür sorge, dass der Gesichtsschleier fällt - und dann sofort, im voraussichtlich besten Szenario, mit einer überdimensionierten Sonnenbrille, einem Rollkragen usw. ersetzt wird. In ungünstigeren Szenarien werden die betroffenen Frauen dauerhaft zuhause eingesperrt oder die Familie wandert in ein Land ohne Verhüllungsverbot aus. Wer die Initiative annehmen will, darf vor solchen nicht unwahrscheinlichen Konsequenzen, die die Situation der betroffenen Frauen womöglich sogar verschlechtern, nicht die Augen verschliessen.


Wenn wir die Ursachen bekämpfen wollen, dann müssen wir Massnahmen ergreifen, die geeignet sind, das Frauenbild in den verwirrten und verblendeten Männerköpfen zu korrigieren. Wir müssen geltendes Recht besser durchsetzen, insbesondere beim Straftatbestand der Nötigung. Wir müssen niederschwellige Hilfsangebote für Frauen schaffen und fördern, die von ihren Männern unterdrückt oder anderweitig misshandelt werden. Und wir müssen Länder boykottieren, in denen Menschen- und Frauenrechte systematisch missachtet werden.

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