Dieser Eintrag lautete in seiner ersten Fassung auf "10 minus 1 Gründe...". Aber kurz nach der Fertigstellung fand ich dann, das Ding sei mit gegen 24'000 Zeichen doch viel zu lang, also machte ich eine Trilogie daraus. Hat ja bei "Herr der Ringe" auch prima funktioniert.
5 Don Quijote: Flooding im Discounter
Wer in Japan sein darf und es unterlässt, auch nur ein einziges Mal in einer Filiale des Discounters Don Quijote zu lustwandeln, der hat nach meinem Dafürhalten die Kontrolle über sein Leben verloren und sollte sich professionelle Hilfe suchen. Denn in einem Don Quijote werden, so weit ich das beurteilen konnte, jegliche verkaufspsychologischen Grundsätze, mit denen man in hiesigen Supermärkten die Kunden mehr oder minder subtil zu beeinflussen trachtet, aus putziger Dreistigkeit missachtet oder gar ins schiere Gegenteil verkehrt. Nur schon dies macht den Besuch zu einem unvergesslichen, urkomischen Erlebnis. So ist beispielsweise oftmals bereits der Eingangsbereich mit irgendwelchen Paletten Mineralwasser oder anderem Krempel zugestellt und leitet mithin die unvermeidliche und vollständige Verwirrung direkt ein. Gleich danach geht es dermassen die Sehnerven überstrapazierend schrillbunt weiter, dass sogar Pippi fucking Langstrumpf herself auf der Ladenfläche eines Don Quijote wie eine Ikone der biedersten, graubeigen Bünzligkeit wirkte.
Einschub: Ich frage mich hier, während ich diese Zeilen schreibe, ob die Menschen in Japan kulturell oder womöglich gar genetisch bedingt eine deutlich höhere kognitive Reizschwelle als Westeuropäer entwickelt haben. Nicht bloss bezogen auf Filialen von Don Quijote, sondern auch wenn ich mich heute an meine eilige Durchquerung einer Pachinko-Spielhalle zurückerinnere: Man muss da gemessen am stroboskopmässigen Geblinke und Geflacker und nicht zuletzt auch am tinnitusgarantierenden Dauergebimmel wirklich schon sehr froh sein, nicht innert maximal fünf Minuten zu menschlichem Gemüse zurück zu evolvieren.
Aber wir sind bei Don Quijote: Hier foutiert sich der Unternehmer also allem Anschein nach offen und transparent um ein strukturiertes und sanftes Einkaufserlebnis. Die Waren präsentieren sich über mehrere verwinkelte Etagen in erratisch anmutender Abfolge auf unterschiedlich hohen, aber zumeist sehr eng gestellten Regalen. Von Kundenführung oder dergleichen nicht die geringste Spur. Ein absurd breit ausgefächertes Sortiment setzt dem Irrgarten die Spitze auf: In einem Don Quijote findet man nahezu alles, was man im Verlauf eines Menschenlebens halt so braucht. Und vor allem noch ganz viele andere Dinge, die bei gutem Treu und Glauben nun wirklich kein auch nur halbwegs geistesgesundes Individuum jemals benötigen kann, deren schiere Existenz genau deshalb aber eine merkwürdige Faszination auslöst.
Aber vielleicht ist ja gerade dies der Geniestreich von Don Quijote: Labyrinthisch angelegte Filialen verlängern die durchschnittliche Verweildauer der Kundschaft und das wiederum erhöht die Umsätze, weil man bei einem unüberschaubaren und kaum sortierten Angebotsmix von Gütern des täglichen Bedarfs und hirnverbranntem Nonsens einfach immer etwas findet, das einen Kaufimpuls triggert. Mit leeren Händen kommt niemand aus einem Don Quijote raus. Ob man das goldglänzende Unterhösli im Elefantenkopflook dann wirklich je anzieht, interessiert keinen Schwanz. Okay, einen vielleicht.
6 ÖV in Japan: JR > SBB
Als Schweizer denkt man ja gerne, selbst wenn man nicht einem verklärten Buurezmorge-Hudigäggeler-Patriotismus anheimgefallen ist, der hiesige öffentliche Verkehr sei das globale Nonplusultra. Und ich bin sicher auch einer der Letzten, der SBB und Konsorten ans Bein pinkeln wollte, "unser" ÖV macht es zweifelsohne überdurchschnittlich ordentlich. Aber mehr als Rang 2 gibt's trotzdem nicht, denn was in Japan diesbezüglich abgeliefert wird, ist geradezu paradigmatisch.
Erstens sind die Transportmittel so sauber, dass man darin vermutlich sehr konkurrenzfähige Halbleiter fertigen könnte. Zweitens ist die Pünktlichkeit nicht zu überbieten: Wenn man im Shinkansen nach einer Strecke von gegen 900 Kilometern und ungefähr 4 Stunden Fahrzeit förmlich auf die Sekunde genau ankommt, ist das schon eindrücklich. Drittens ist das Personal auch in öffentlichen Verkehrsmitteln so höflich und fast schon sklavisch servil, wie man es in Japan in eigentlich allen Dienstleistungsberufen als Kunde erlebt.
Zwei Anekdoten dazu: Auf einer Fahrt, die vom Japan Rail Pass nicht abgedeckt war, löste ich am Automaten ein knapp zwei Franken zu teures Billett. Bei der Kontrolle nahm sich der prächtig uniformierte Schaffner annähernd fünf Minuten Zeit, um mir meinen finanziell nachteiligen Irrtum unter fleissiger Verwendung seines piktografischen Übersetzungsbüchleins höflich und entschlossen zu erläutern und das Billet mit Notizen und einem Stempelchen zu versehen, damit ich mein Geld am nächsten Schalter zurückfordern könne. Hab ich zwar nicht gemacht, aber herzig war's trotzdem.
Und in Kyoto bedanken sich die Buschauffeure bei jedem aussteigenden Fahrgast. Das klingt vielleicht zuerst wenig berauschend, aber man sollte sich vergegenwärtigen, dass Kyoto eine Stadt mit fast 1,5 Millionen Einwohnern ist und es dort so gut wie keine schienengebundenen Transportmittel gibt. Kurzum: Dort fahren scheissviele Menschen mit dem Bus, ergo wird an jeder Haltestelle bis zur Heiserkeit gedankt. Okay: Damit der Fahrplan eingehalten werden kann, wird aus "arigato gozaimasu" halt nur noch "zaimasu", aber immerhin. Und es würde mich keine Bohne erstaunen, wenn man die Pensionierung von Kyotoer Buschauffeuren ganz offiziell als Abdankung bezeichnete.
Nun ist aber auch einzuräumen, dass ein öffentlicher Verkehr maximal so gut sein kann wie dessen Teilnehmende. Die Menschen in Japan verhalten sich diesbezüglich ohne erkennbare Ausnahmen (wenn doch, sind's Gajin), als ginge es um einen Wettstreit in Sachen Rücksichtnahme: Auf dem Perron steht man ruhig und geordnet Schlange, Zug fährt pünktlich ein, ankommende Passagiere steigen ruhig und geordnet aus, abfahrende Passagiere steigen ruhig und geordnet ein, Zug fährt pünktlich ab. Im Zug wird Menschen mit erkennbarer Behinderung, überschaubarer Restlebenszeit oder ungeborenem Nachwuchs sofort und unaufgefordert ein Sitzplatz gewährt.
Sobald sich die Türen geschlossen haben, ist es bis auf sporadisches Husten und Schniefen für den Gesamtverlauf der Fahrt mucksmäuschenstill. Niemand redet, niemand telefoniert, niemand isst. Bloss im Fernverkehr ist Nahrungsaufnahme offenbar kein ÖV-Tabu, mehr noch: In den Shinkansen macht es den Anschein, als sei es quasi heilige Pflicht, artig eine Bentobox zu mümmeln. Das Gros der Leute ist im öffentlichen Verkehr mit dem stumm geschalteten Smartphone beschäftigt, ein Teil pennt mit geschlossenen, der Rest mit offenen Augen. Und yours truly sinniert darüber, ob es in Japan wohl eine stille Übereinkunft der Solidarität gibt, wonach man sich im ÖV gegenseitig eine Oase der Ruhe gewährt und einfach mal die Schnauze hält.
7 Meguro Parasitological Museum: Woohoo - 8,8 Meter Bandwurm!
Ich bin ja eigentlich eher nicht so der grosse Museumsfanboy. Aber das Meguro Parasitological Museum sei einen Abstecher absolut wert, meinte das liebe Internetz, also fuhr ich hin und hatte helle Freude.
Ohne auch nur oberflächliche Vorbereitung könnte man durchaus meinen, eine sich einzig aber gründlich dem Schmarotzertum annehmende Ausstellung würde etwa Bilder von Donald Trump (Missbrauch der Nation USA, um dem eigenen Narzissmus einen runterzuholen), führenden SVP-Politikern (Ausnutzung von Nichtschweizern via grenzdebiler, xenophober Initiativen zum Zwecke des Stimmenfangs) oder garstigen Umweltverschmutzern (Schädigung des globalen Ökosystems für finanzielle Vorteile oder aus purer Idotie), aber weit gefehlt: Im Meguro Parasitological Museum geht es lediglich um die Parasiten des Tier- und Pflanzenreichs. Hier darf Homo sapiens ausnahmsweise mal einfach Opfer sein.
Der Eintritt ins unscheinbar kleine, zweistöckige Gebäude mit seinen ungefähr 300 Exponaten ist kostenlos. Man darf eine Spende hinterlassen und/oder schrullige Merchandise kaufen. Letzteres ist aber bloss möglich, wenn Angestellte der Einrichtung zugegen sind, was bei meinem Besuch nicht der Fall war. Und so durfte ich an diesem schönen Morgen ganz mutterseelenallein Eingelegtes von Schildkröten, Nagetieren, Gottesanbeterinnen und anderem Getier bestaunen, das nicht besonders viel Glück im Leben gehabt hatte, weil es entweder von Parasiten ins Nirwana gepiesackt, oder von Biologen im freien Felde schon vorgängig mit wissenschaftlichem Eifer dahingemeuchelt worden war.
Zweifelsohne das glamouröse Prunkstück der Sammlung des Meguro Parasitological Museum ist das Präparat eines 8,8 Meter langen Bandwurms der überaus faszinierenden Gattung Diphyllobothrium, den man einem japanischen Mittvierziger drei Monate nach dem Verzehr rohen, larvenbefallenen Lachses aus dem Rektum hatte pulen dürfen. Der Wirt war seines Schmarotzers, dies aber hier wirklich nur der wissenschaftlichen Vollständigkeit halber, im Rahmen einer Defäkationssitzung ansichtig geworden. Meine Vermutung geht dahin, es sei dem putzigen Tierchen im Gekröse des Mannes irgendwann etwas zu eng und langweilig geworden, dass es sich dergestalt nach einem Tapetenwechsel gesehnt hatte.
Zum dritten Teil dieser Trilogie geht's hier.
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