"Mittelhochdeutsch eitgenōʒ(e) = durch Eid Verbündeter, Verschworener; seit 1315 amtliche Bezeichnung der Mitglieder der Schweizer Eidgenossenschaft", so der Mainstream-Duden. Derzeit haben Alternativen jedoch Hochkonjunktur, von daher...
Liebe Genossinnen und Genossen! Hier auf verbosus.ch gibt's ja oftmals eher schwere Kost zu lesen. Komplizierte Themen kompliziert und gerne auch mal prätentiös (huch, seht Ihr?!) geschrieben. Lockern wir die Chose doch mal eben ein wenig auf, hm? Die Weltformel kann einstweilen warten.
Fein, also: Das Hirn von yours truly meinte kürzlich vor dem Einschlafen, es hätte gerade jetzt gute Lust auf Spielereien mit dem Wort "Eidgenosse". Ich so: "Echt jetzt?" - Hirn so: "Ähä!" - Ich wieder so: "Dann halt, aber mach hinne, verdammt. Wenn ich zu wenig Schlaf kriege, werde ich grantig, da wird mir der Samen flockig, dann gibt's morgen zur Strafe mindestens drei Liter Sangria aus dem Tetra Pak vom Denner." - Hirn so: "Upsi, okay, halbe Stunde maximal, Deal?" - Ich so: "Deal. Und los." - Hirn so: ...
Seitgenosse
Unlängst eingebürgerter Mensch. Oder Person, die in ihrem Stammbaum keinen einzigen Vorfahren hat, der weiland in der Schlacht am Morgarten mit Inbrunst einem Habsburger Schnitzelfresser die Scheisse aus dem Leib hellebardiert hatte. Denn erst nach 26 verbrieften staatsbürgerschaftlichen Generationen wird der niedere Seit- zum vollwertigen Eidgenossen geadelt, Inzucht hin oder her, Blut ist wichtiger als blöd. So will es das SVP-Parteiprogramm.
Neidgenosse
Verächtliche Titulierung. Häufig Bürgern zugedacht, die sich für Sozialstaat und Steuergerechtigkeit einsetzen. Die Titulierung wird in aller Regel von Volksvertretern am anderen (falschen) Ende des politischen Spektrums oder deren Anhängern vergeben, sogenannten "Rightgenossen".
Weitgenosse
Mit der Absicht dauernden Verbleibens in einem fremden Land niedergelassener Schweizer Staatsbürger. Sehr zum Unverständnis strammer, bedingungslos standorttreuer Rightgenossen, die bereits nervöses, einseitiges Augenzucken kriegen, wenn sich im 500m Radius kein "Löwen", "Sternen" oder "Bären" befindet.
Zweitgenosse
Lebensabschnittspartner in heterosexuellen Beziehungen. Für gleichgeschlechtliche Bindungen kommt für gewöhnlich eher der Begriff "Pridegenosse" zur Anwendung.
Im Kontext des Paarungsverhaltens und von Partnerschaften sind überdies von Belang: "Leidgenosse" (ab einer Bindungsdauer von ungefähr zehn Jahren) und "Reitgenosse" (für primär auf zweisame körperliche Ertüchtigung fokussierte Beziehungen; bei klandestinen Lustbarkeiten wäre zwecks Präzisierung "Sidegenosse" zu verwenden, die Vorstufe zu "Scheidgenosse"). Schürzenjäger in- und ausserhalb von Beziehungen werden gemeinhin als "Maidgenosse" bezeichnet.
Kreidgenosse
Reaktionäre Lehrperson, deren Denken und Handeln sich irgendwo im patriarchalischen Morast der Nachkriegszeit festgefahren haben (@Generation Snowflake: Gemeint ist der zweite Weltkrieg des 20. Jahrhunderts). Bei postmodernem Krimskrams wie Beamern oder sozialintegrativem Unterricht fällt Kreidgenossen die Rute aus der zitternden Hand. Progressivere Subjekte gehen heute immerhin allmählich von der Wandtafel zum Hellraumprojektor über und werden so zu Slidegenossen.
PS: Hinsichtlich der Umgehung allfälliger Fettnäpfchen sollte stets bedacht werden, dass der Terminus "Kreidgenosse" bisweilen auch kumpelhaft-wohlmeinend in einigen Jassgesellschaften zur Anwendung gelangt.
Bytegenosse
Der Antipode des Kreidgenossen. Dieser tendenziell eher jüngere Bürger ist unschwer an gebückter Haltung, wenig pigmentierter Haut und deformierten Daumen zu erkennen. In englischen Sprachräumen (also im Ausland) wird er als "digital native" bezeichnet.
Seine Blässe ist überdurchschnittlich häufigem Kelleraufenthalt und/oder durchzockten Nächten geschuldet, weswegen er oft - wie der einheimische Vampir oder Werwolf - auch als Nightgenosse bezeichnet wird. Fun fact: Die beiden vorgenannten Geschöpfe der Nacht gelten auch als Bitegenossen.
Im Übrigen: Sofern der Bytegenosse auf privater oder beruflicher Basis als Webmaster amtet, gilt er zugleich als Sitegenosse.
Streitgenosse
Mitglied der Armee. Sofern er kein unverbesserlicher Rightgenosse ist, fristet er die von Sinn und Zweck grossmehrheitlich unbelastete Dienstzeit zumeist als Breitgenosse (siehe weiter unten).
Schreitgenosse
Mitglied eines Wandervereins.
Leitgenosse
Mitglied einer Exekutivbehörde.
Lightgenosse
Mitglied einer Sekte.
Breitgenosse
Dem legalen oder illegalen Rauschmittelkonsum zugewandter Staatsbürger. Natürliche Habitate von Breitgenossen sind nebst dem Eigenheim insbesondere Dorfbeizen und Fasnachtsanlässe. Jüngere Vertreter der Spezies versammeln sich alljährlich in Zürich zum Bummbumm-Umzug oder sind, von süsslichen Rauchschwaden umwölkt, in Parkanlagen anzutreffen (Subspezies: Flightgenossen).
Meidgenosse
Dieser Begriff wird in aller Regel nur in Krisensituationen und hier im Speziellen in Pandemiezeiten verwendet. Der Meidgenosse - Anglizismus: Hidegenosse - schränkt seine Kontakte ein, befolgt "social distancing" und reduziert seine Mobilität. Er ist normalerweise kein Rightgenosse.
Fightgenosse
Amateur-Kampfsportler, der im Sägemehlrund nachdrücklich den Hosenlupf praktiziert. Üblicherweise von imposanter Statur, da häufig in Berufen mit hohem Körpereinsatz tätig: Weidgenosse (Bauer), Laibgenosse (Käser), Schneidgenosse (Metzger) oder Scheitgenosse (Schreiner/Zimmermann).
Rightgenosse
Last but least: Der Rightgenosse wähnt sich als Reinkarnation von Arnold Winkelried, als einzig wahrer Retter und ritterlicher Bewahrer Helvetiens. Sein pathetischer Hurrapatriotismus kennt keine Grenzen - selbstredend mit Ausnahme der ihm heiligen Landesgrenzen. Lieblingswort des Rightgenossen: Nein.
Er ist "für die Wirtschaft" und recht stolz zu ahnen, dass damit für einmal nicht der "Bären" gemeint ist. Er ist für die Streitgenossenschaft (siehe weiter oben), weil man da einfach mal dafür zu sein hat, denn eine demilitarisierte Nation läuft dem Menschenbild des Rightgenossen zuwider: Im Grunde schlecht. Dies ganz entgegen wissenschaftlicher Erkenntnisse, aber die benötigt ein Rightgenosse oftmals nicht, denn seine Meinung lässt er sich von linken Eliten kaum je madig machen.
Der Rightgenosse will "Switzerland first" und sieht nicht, dass der ewige Konkurrenzkampf auf ewig andauerte, wenn alle Nationen dieser Devise folgten, wohingegen bei globaler Kooperation ohne Reibungsverluste letztlich alle "first" sein könnten. Hopp Schwiiz!
Gute Nacht allerseits! Freundlich grüsst,
Euer Writegenosse
@Ursi: Der Leidgenosse wurde zwar bereits im Kontext des Zweitgenossen identifiziert. Aber ich muss einräumen, dass mir hier die Ambiguität nicht bewusst war, infolgedessen bin ich sehr dankbar für Deinen ausgezeichneten writegenössischen Beitrag zum Alternativduden.
Es fehlt noch der Leidgenosse. Sein überprivilegiertes Leben in der Schweiz macht ihm zu schaffen. Längst hat er den Boden unter den Füssen verloren und fühlt nichts mehr. Als Kompensation macht er Survivalferien oder Extremsportarten und träumt von fernen Ländern. Von Zeitgenossen wird er als Hipster identifiziert. Die Vorfahren seines käsebleichen Freundeskreises liegen alle seit mindesten fünf Generationen auf einem Schweizer Friedhof. Dennoch zieht ihn Exotisches magisch an. Mit geerbtem Geld kauft er sich eine Residenz in einer möglichst weit entfernten Wahlheimat. Die Lokalbevölkerung dort empfindet er als so lebendig, betont aber ständig wie gut wir es doch in der Schweiz haben.
@Ivana C: Dankeschön. Ich habe Deinen Kommentar sehr genossen, höhö...
Herzlichen Dank lieber Writegenosse 🙏
Für eine möglicherweise baldige „Seitgenossin“ war dieser Exkurs sehr informativ und lustig zu lesen.
Ich mag den verbosus-Schreibstil sehr!
🤗👍