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  • AutorenbildChatty Avocado

Bedingungslose Liebe

Aktualisiert: 18. Mai 2023

Existiert so etwas tatsächlich: Eine Liebe, die keine Voraussetzungen kennt, kein Wenn und Aber? Eine Liebe, die an und für sich steht - unveränderlich, grenzenlos, ewig? Nö, das gibt's nicht - zumindest nicht zwischen urteilsfähigen Lebewesen.

Bild: Pixabay.com (Nile)



Ich möchte hier keineswegs in Stahlkappenstiefeln auf dem zarten Pflänzchen zwischenmenschlicher Romantik herumtrampeln, wirklich nicht. Liebe ist schön. Liebe ist toll. Liebe ist vermutlich überhaupt das Beste am gesamten Menschsein. Aber darum geht's hier auch gar nicht. Es geht darum, dass Liebe nur von und zu Kreaturen bedingungslos sein kann, die (noch) keine Vernunft entwickelt haben. Gegenüber Tieren oder Kindern also - und von diesen ausgehend. Sobald das geliebte Wesen jedoch zur Vernunft gereift ist, hat es sich endgültig mit der Bedingungslosigkeit. Das schmälert oder entwertet die Liebe in keiner Weise. Es heisst bloss, dass das Konzept bedingungsloser Liebe nicht allgemeingültig ist.


Zuerst müssen wir die relevanten Begrifflichkeiten klären:

  • Liebe ist das stärkste Gefühl von Zuneigung und Wertschätzung. Wir reden im Folgenden von Liebe nach allgemeinem Verständnis, nicht von körperlicher Liebe oder so, denn wir haben hier schliesslich einen gewissen Anspruch zu erfüllen und sind nicht beim Dr. Sommer-Team.

  • Als Bedingung gilt etwas, das zur Verwirklichung von etwas anderem notwendig ist. Nur wenn A erfüllt ist, tritt B ein.


Bedingte Liebe würde als Softwarecode schematisch etwa so geschrieben:

IF [Condition] = true THEN RUN('Love.exe') ELSE EXIT

Bedingungslose Liebe käme dagegen mit bloss einer Codezeile aus:

RUN('Love.exe')

Okay, das war jetzt wohl etwas zu viel des Guten. Anyway. Wir sollten uns zunächst einmal klarmachen, was "bedingungslos" in letzter Konsequenz zu bedeuten hat. Dazu stellen wir uns einen Menschen vor, der hässlich ist wie die dunkelste, mondlose Nacht (dafür kann er zwar nichts, aber es dient der Illustration), der erbärmlich stinkt wie in Thioaceton eingelegte Titanenwurz (dafür kann er sehr wohl was, dieser ungepflegte Sauhund), der als Akkordmetzger arbeitet, weil er leidenschaftlich gerne Tiere umbringt, der seine Freizeit bevorzugt mit Schlägereien, Mord, Vergewaltigung, Folter und Pädophilie zubringt, und der (natürlich) konsequent die rechteste aller zur Wahl stehenden Rechtsparteien wählt. Wir stellen uns, kurzum, einen mustergültigen Gröwaz vor, den grössten Widerling aller Zeiten.


Haben wir das Bild? Gut. Und nun müssen wir uns gedanklich in die Lage hineinversetzen, eben diesen Menschen aufrichtig und von ganzem Herzen zu lieben. Wem das tatsächlich gelungen ist, darf jetzt mal eben kurz mit stolzgeschwellter Brust die Hand aufstrecken. Oder sein Erfolgserlebnis vielleicht besser in die Kommentare schreiben, damit alle was davon haben. Item. Meine Prognose lautet jedenfalls, dass die Kommentare gähnend leer bleiben werden, weil es uns Durchschnittsmenschen nicht gelingt, einen Gröwaz bedingungslos zu lieben. Wenn das aber nicht möglich ist, dann ist bereits der Beweis geführt, dass es bedingungslose Liebe im Allgemeinen so nicht geben kann. Aber nur gemach, unter gewissen Umständen gibt es sie eben doch.


Jetzt stellen wir uns ein eigenes Wunschkind vor. Der Lendenspross ist gerade mal zwei Jahre alt, kann aber bereits das eine oder andere Wort halbwegs verständlich vor sich hinbrabbeln, wankt pausbäckig noch etwas unbeholfen in der Pampa herum, strahlt übers ganze Gesichtchen und gluckst urfröhlich, wenn es eines Schmetterlings ansichtig wird, ist bildhübsch und duftet nach taufrischem Rosenwasser, tut keiner Fliege was zuleide usw. usf. Wir stellen uns, kurzum, die paradigmatische Grönaz vor, die grösste Niedlichkeit aller Zeiten, den hellsten Sonnenschein.


Haben wir das Bild? Gut. Und nun müssen wir uns gedanklich in die Lage hineinversetzen, eben dieses kleine Menschlein nicht aufrichtig und von ganzem Herzen zu lieben. Bis vielleicht auf den Gröwaz oben wird das wohl niemandem gelingen (ansonsten: Schande!) - und damit ist der Gegenbeweis geführt, dass es bedingungslose Liebe in spezifischen Konstellationen eben doch gibt. Oder anders ausgedrückt: Bedingungslose Liebe ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Präziser gesagt handelt es sich bloss um eine einzige Voraussetzung, die dafür relevant ist, nämlich das Vermögen zur Vernunft und deren praktischen Gebrauch. Demnach um eine Frage der Ethik, und dahin machen wir jetzt einen kurzen Abstecher.


Wer das Vermögen zur Vernunft besitzt, hat ein mehr oder minder voll ausgereiftes Selbstbewusstsein, einen freien Willen (oder wenigsten die Illusion davon, aber diese Strasse gehen wir hier jetzt nicht auch noch herunter) und verfügt infolgedessen über Urteilsfähigkeit. Ein vernünftiges Wesen handelt also für gewöhnlich im Lichte einer Vorstellung der Konsequenzen, die sein Handeln zeitigen wird. Es weiss beispielsweise, dass ein Käfer tot ist, falls man ihn zertrampelt, oder dass ein Mensch leidet, wenn man ihn foltert. Eben diese Urteilsfähigkeit macht aus dem Wesen eine Person, einen moralischen Agenten - jemanden, der bewusst handelt -, und begründet Verantwortlichkeit fürs eigene Tun. Eine Kreatur, die dieses Vermögen hingegen (noch) nicht besitzt, die nicht urteilsfähig ist, hat als moralischer Patient - jemand, der behandelt wird, aber nicht bewusst handelt - noch keinen Personenstatus und trägt daher auch keine Verantwortung fürs eigene Tun (wen das näher interessiert: Hier bitte).


Wir kehren zurück zum Gröwaz und zur Grönaz. Falls der Widerling spasseshalber einen anderen Menschen foltert, so verurteilen wir ihn dafür, denn als moralischer Agent ist er in der Lage abzusehen, dass dieses Verhalten Leid verursacht und ergo unterlassen werden sollte. Unserem niedlichen Kind (oder auch jedem anderen Kind) würden wir jedoch keinen Vorwurf machen, wenn es freudig einen Käfer zertrampelt, weil es als moralischer Patient noch nicht versteht, dass man solches nicht tun sollte. Unter dem Strich: Moralische Regeln und dementsprechend eine Verantwortung zur Einhaltung dieser Regeln gelten nur für Lebewesen, die zu ihrer Erkenntnis und Befolgung fähig sind. Falls unsere Katze ein Vögelchen fängt und damit "spielt", tut sie nichts Böses oder Falsches - sie kann halt nicht anders.


Weshalb reite ich auf diesem ethischen Kram herum? Deswegen: Wenn Liebe tatsächlich der denkbar stärkste Gefühlsausdruck von Zuneigung und Wertschätzung ist, dann müssen wir uns fragen, woraus sich diese Zuneigung (alias Sympathie) und Wertschätzung speisen. Natürlich kann man das Argument führen, der Mensch an und für sich sei das Objekt der Liebe, nicht dessen Taten oder Leistungen. Dann aber reden wir über nichts anderes als Nächstenliebe und über eine bedingungslos positive Bewertung der Menschenwürde im Gegenüber, die wir uns zweifellos gegenseitig schulden. Wenn wir jedoch über romantische Liebe unter urteilsfähigen Wesen reden, dann geht die Liebe über Nächstenliebe hinaus. Das Objekt der Liebe ist hier ein erweitertes, es wird quasi noch ein Scheit obendrauf gelegt, nämlich das Ich des geliebten Menschen, seine Individualität: Der Mensch wird nicht mehr "nur" für sein allgemeines Menschsein geliebt, sondern ergänzend auch dafür, was er daraus macht. Und was den Menschen als Individuum auszeichnet, ist ja nichts anderes als das die Summe seines urteilsfähigen, willentlichen Denkens und Handelns.


Im Ergebnis existiert bedingungslose Liebe abschliessend wie folgt:

  1. Moralische Patienten (Nicht-Personen) können alles und jeden bedingungslos lieben, weil sie (noch) keine moralischen Konzepte kennen.

  2. Moralische Agenten (Personen) können nur moralische Patienten bedingungslos lieben, weil diese moralisch unbeschriebene Blätter sind.


Unter moralischen Agenten - das sind einigermassen geistesgesunde Menschen ab ungefähr dem Jugendalter aufwärts - ist bedingungslose Liebe hingegen unter keinen Umständen je möglich, denn zwischen solchen Lebewesen ist das Ausmass ihrer Liebe notwendig auch eine Funktion des moralisch integren Handelns der geliebten Person. Die Liebe unter moralischen Agenten hat stets zur Bedingung, dass die geliebte Person, vereinfacht gesagt, nicht andauernd irgendwelche unmoralische Scheisse baut. Keine Frau, die von ihrem Mann immer wieder aufs Übelste vergewaltigt wird, kann ihrem Peiniger gegenüber bedingungslose Liebe empfinden. Das nämlich würde zwingend voraussetzen, dass diese Liebe den Täter und dessen Taten auseinander zu dividieren imstande wäre, und das wiederum ist für urteilsfähige Menschen schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Zudem wäre die Liebe dadurch wiederum auf reine Nächstenliebe reduziert und ginge der romantischen Komponente verlustig.


Falls zwischen urteilsfähigen Wesen das Liebesobjekt also immer zweischichtig ist - Menschenwürde plus Individualität -, und wenn sich die Liebenswürdigkeit der Individualität fundamental aus ihrer moralischen Integrität ergibt, dann ist folglich moralische Integrität die zwingende Voraussetzung und ergo Bedingung der Liebe - und genau deshalb kann Liebe unter urteilsfähigen Wesen unter keinen Umständen je bedingungslos sein. Man kann keinen erwachsenen Gröwaz bedingungslos lieben, und zwar selbst dann nicht, wenn er das eigene Kind ist. Man kann und sollte ihm aber gleichwohl noch die Nächstenliebe entgegen bringen, denn auch ein Gröwaz verliert die Menschenwürde nie. Womöglich findet man sogar noch andere liebenswerte Charakteranteile, schön und gut, aber bedingungslos? Nö. Doch selbst einen Menschen mit der eher unwahrscheinlichen Tugendhaftigkeit eines Heiligen können wir nicht bedingungslos lieben. Wiewohl wir solch hohe moralische Integrität zwar nie einfordern würden, so ist unsere Liebe dennoch stets an eine gewisse Tugendhaftigkeit geknüpft und also immer bedingt. Das Ausmass dessen, was wir der geliebten Person an Untugenden durchgehen lassen, mag von Fall zu Fall verschieden sein, doch eine rote Linie gibt es immer.


Was mit Bonnie und Clyde ist? Gar nichts. Wenn sich zwei krass unmoralisch handelnde Menschen gegenseitig zu lieben meinen, zwei Gröwaz etwa, dann ist auch diese Liebe nie bedingungslos - ganz einfach deshalb, weil es sich um keine Liebe im engeren Sinne mehr handelt. Gravierend unmoralisches Tun kann per se niemals positiv oder gar liebevoll bewertet werden, für etwas Wertloses lässt sich keine echte Wertschätzung aufbringen. Und wo keine echte Wertschätzung, da auch keine echte Liebe.

nachschlag

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