Im Anschluss an die Kernidee deontologischer Moraltheorien werden Grenzen aufgezeigt, an die solche Theorien bei der Hervorbringung besserer Weltzustände stossen. Danach werden die monistische Theorie Kants und die pluralistische Deontologie Ross' erläutert.
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Kernidee
In der Deontologie (von griechisch "deon", das Gesollte) beschränkt sich ethische Normativität nicht auf das Hervorbringen von Weltzuständen bzw. stehen hierin die Folgen von Handlungen nicht wie im Konsequentialismus im Vordergrund. Die Folgen von Handlungen sind aber in der Deontologie keineswegs irrelevant. Vielmehr sind die Folgen nicht alleine geeignet, ein Sollen zu begründen.
Am Beispiel eines Versprechens lässt sich dieser fundamentale Unterschied zwischen Deontologie und Konsequentialismus festmachen: Die Deontologie sieht i.d.R. in der Einhaltung von Versprechen eine kategorische Pflicht, die sich auf einen normativen Gesichtspunkt eigenen Rechts abstützt, nämlich darauf, dass das Versprechen gegenüber einer bestimmten Person abgegeben worden ist und sich diese Person darauf verlassen können muss, dass es eingehalten wird. Diese "Binnenstruktur" eines Versprechens ist mit dem Konsequentialismus unvereinbar. Obschon auch in diesbezüglichen Theorien Gründe für die Einhaltung von Versprechen angeführt werden können, so ist die situative Einhaltung dennoch stets eine direkte Funktion der damit verbundenen Nutzenmaximierung.
Deontologische Moraltheorien gehen demnach davon aus, dass es richtig- und falschmachende Charakteristiken von Handlungen gibt, die von den Handlungsfolgen gänzlich unabhängig sind.
Grenzen der Maximierung
Gemäss deontologischen Theorien ist eine Maximierung des Nutzens resp. des Guten in gewissen Konstellationen nicht möglich bzw. begrenzt, weil diese Theorien bestimmte Handlungen als in sich schlecht deklarieren, u.a. Lügen oder das Töten Unschuldiger. So ist beispielsweise eine Lüge selbst dann in vielen deontologischen Moraltheorien verboten, wenn dadurch weitere Lügen verhindert werden könnten (moralischer Absolutismus).
Handlungsoptionen sind problematisch für die Deontologie, weil eine Person meist die Wahl hat, sich so oder anders zu verhalten, und die Folgen des Verhaltens nur bedingt (wenn überhaupt) in Rechnung stellen muss. Ein Akteur kann akteur-relativ (auf die handelnde Person bezogen) einer Partie Minigolf den Vorzug vor einem gemeinnützigen Projekt geben, sodass aus einer akteur-neutralen Perspektive (oder aus Sicht eines Konsequentialisten) ein besserer Weltzustand verhindert worden ist. Eigene Projekte (wie hier: Minigolf) sind in der Deontologie erlaubt, sie haben kein normatives Gewicht.
Aus dieser Erlaubnis zur Verfolgung eigener Projekte lassen sich drei Arten von Gründen ableiten, die sich nicht auf das Hervorbringen von Resultaten bzw. Folgen reduzieren lassen und deshalb mit dem Konsequentialismus unvereinbar sind:
Autonomie: Jede Person hat das eigene Leben zu führen. Im Konsequentialismus muss die Autonomie sofort aufgegeben werden, wenn dadurch eine bessere Welt möglich ist.
Verpflichtung: Jede Person hat Bindungen zu anderen Personen oder Gemeinschaften (Familie, Nation), und aus diesen Bindungen ergeben sich (moralische) Verpflichtungen.
Deontologie: Jede Person ist mit den Ansprüchen anderer Personen in dem Sinne konfrontiert, dass sie anderen sozusagen eine Erfüllung der Ansprüche schuldet (z.B. die Wahrheit sagen).
Ebenfalls problematisch für deontologische Theorien ist das Prinzip der Doppelwirkung. Es besagt, dass eine Handlung mehrere Folgen haben kann, die je (moralisch) gut, schlecht oder neutral ausfallen, und die Handlung moralisch erlaubt ist, wenn die schlechten Folgen bloss unbeabsichtigte Nebenfolgen sind (Kollateralschäden), aber moralisch verboten, wenn diese Nebenfolgen (auch) beabsichtigt wurden.
Während der Konsequentialismus das Prinzip der Doppelwirkung in aller Regel akzeptiert, solange die Wirkungen summarisch zur Nutzenmaximierung beitragen, wird es insbesondere in absolutistischen Auslegungen der Deontologie immer dann abgelehnt, wenn eine in sich falsche Handlung ausgeführt wird (z.B. die Tötung Unschuldiger). Moderatere Auslegungen der Deontologie akzeptieren hingegen Doppelwirkungen, sofern schlechte Folgen nur vorhergesehen, nicht aber beabsichtigt sind.
An einem Beispiel: Eine kriegsentscheidende militärische Kommandozentrale befindet sich im Keller eines Waisenhauses. Die Bombardierung der Liegenschaft würde voraussichtlich den Krieg beenden, aber mehrere hundert Waisenkinder würden dabei sterben. Konsequentialistische Theorien würden der Bombardierung i.d.R. zustimmen, deontologische nur teilweise und ohnehin nur dann, wenn die Person, welche die Bombardierung ausführt, den Tod der Waisenkinder nicht (auch) beabsichtigt.
Gegen das Prinzip der Doppelwirkung wird argumentiert, die Unterscheidung zwischen "vorhersehbar" und "beabsichtigt" sei reine, kaum differenzierbare Wortklauberei, da die Handlungsfolgen in beiden Fällen dieselben seien. Zudem mache es für die moralische Beurteilung einer Handlung keinen substanziellen Unterschied, ob eine schlechte Folge nur erwartet resp. in Kauf genommen, oder tatsächlich beabsichtigt wird. Für das Prinzip wird hingegen u.a. wie folgt argumentiert:
Intentionale Verwicklung: Es lässt sich schwerlich bestreiten, dass ein Akteur üblicherweise auch intentional in eine Handlung verwickelt ist, d.h. gewisse Absichten hegt. Je stärker diese Verwicklung, desto stärker auch die Gründe, die für oder gegen die Handlung sprechen.
Instrumentalisierung: Wer eine Schädigung anderer als Mittel oder gar Zweck beabsichtigt, instrumentalisiert andere für die eigenen Zwecke. Es sprechen jedoch gute Gründe dafür, dass ein Mensch bzw. Lebewesen einen Selbstzweck hat und ergo eine Behandlung als Mittel zum Zweck moralisch verboten ist.
Monistische Deontologie nach Kant
Die Kernidee der monistischen (auf nur einem Prinzip beruhenden) Deontologie nach Kant besteht darin, dass sich moralische Normativität (Gebot, Verbot, Erlaubnis) bloss aus einem Verfahren ableitet, nicht aus einem metaphysischen Weltbild, nicht aus einer Nutzenmaximierung, nicht aus Erfahrungen. Das Verfahren seinerseits ergibt sich aus der Struktur praktischer Rationalität bzw. reiner Vernunft. Gemäss Kant ist reine Vernunft das Vermögen, aus Gründen zu handeln, die nicht auf Motiven von Eigeninteresse beruhen und keinen Bezug zu Erfahrungen haben. Zur Struktur reiner Vernunft:
Wenn sich der Anspruch der Moral aus dieser Struktur resp. der reinen Vernunft ableiten lässt, kann es keine guten (vernünftigen) Gründe geben, ihn zu bestreiten.
Der Anspruch der Moral richtet sich an jedes vernünftige Wesen als solches. Folglich besteht auch kein Spielraum für relativistische Einschränkungen ("andere Länder, andere Sitten").
Der moralische Geltungsanspruch ist unabhängig von kontingenten (nicht zwingend nötigen) Vorgaben, z.B. individuelle Wünsche, Bedürfnisse, Interessen, übernatürliche Wesen etc.
Das von Kant im kategorischen Imperativ festgelegte Verfahren zur Bestimmung der moralischen Normativität ist ein Prüfverfahren für die Maximen von Handlungen. Imperative sind Aufforderungen, bestimmte Handlungen auszuführen oder bestimmte Handlungsziele zu setzen. Maximen können als verallgemeinernde Handlungsgrundsätze bezeichnet werden, als von Vernunft geleitete Lebensregeln, als persönliche Grundsätze des Wollens und Handelns.
Zwei Arten von Imperativen werden unterschieden, wobei sich Moral aber ausschliesslich auf kategorische Imperative stützen kann, weil nur diese Imperative bedingungslos gelten:
Hypothetischer Imperativ: Die gebotene Handlung dient als Mittel zum Zweck, z.B. "wenn du einen Marathon laufen willst, musst du trainieren". Das (nicht-moralische) Sollen ist hier also abhängig von den gesetzten Zielen. Hypothetische Imperative werden weiter unterteilt in problematische - der Zweck ist möglich - und assertorische - der Zweck ist wirklich.
Kategorischer Imperativ: Die gebotene Handlung ist an sich gut, z.B. "sage stets die Wahrheit". Das (moralische) Sollen bzw. der kategorische Imperativ ist erstens a priori (d.h. aus der Vernunft gewonnen), zweitens synthetisch-praktisch (aus dem Willen vernünftiger Menschen abgeleitet, ohne Mittel-Zweck-Relation) und drittens ist die Maxime der Handlung mit einem allgemeinen Gesetz kompatibel. Kurzum: Vernunft bzw. guter Wille determiniert die moralischen Spielregeln.
Im kategorischen Imperativ als Testverfahren für Handlungsmaximen werden drei Formeln verwendet. Maximen, die den Test bestehen (alle Formeln sind erfüllt), sind erlaubt, ansonsten sind sie verboten:
Formel des allgemeinen Gesetzes: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde."
Formel des Selbstzwecks: "Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel brauchest."
Formel des Selbstgesetzes: "Handle so, dass die Maxime deiner Handlung mit der Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens vereinbar ist."
Ungeachtet dieser drei (in der Literatur finden sich bis zu fünf) Formeln postulierte Kant dem Sinn nach nur einen einzigen kategorischen Imperativ. Für die Verallgemeinerung von Maximen (d.h. man kann wollen, dass die Maxime ein allgemeines Gesetz werde) unterscheidet Kant zwischen vollkommenen und unvollkommenen Pflichten:
Vollkommene Pflichten: Sie lassen in ihrer Umsetzung keine Spielraum zu, weil sie eine Handlung an sich vorschreiben (z.B. das eigene Leben erhalten, die Wahrheit sagen). Vollkommene Pflichten lassen sich als allgemeines Gesetz zugleich denken und wollen.
Unvollkommene Pflichten: Sie lassen in ihrer Umsetzung eine Spielraum zu, weil sie nur eine Maxime einer Handlung angeben (z.B. eigene Talente fördern, anderen in Not helfen). Unvollkommene Pflichten lassen sich als allgemeines Gesetz nur denken, nicht aber wollen.
Für beide Pflichten ist alsdann relevant, wem gegenüber sie bestehen: Gegenüber der handelnden Person selbst oder gegenüber anderen Menschen. In den oben in Klammern aufgeführten Beispielen besteht die je erste Pflicht gegenüber sich selbst, die je zweite gegenüber anderen Menschen.
Mit dem kategorischen Imperativ von Kant sind einige Schwierigkeiten verbunden, die nachfolgend am Beispiel der vollkommenen Pflicht, nicht zu lügen (und dem korrespondierenden Recht, nicht belogen zu werden) illustriert werden:
Tatsächlich realistische Maximen müssen Eingrenzungen für konkrete Situationen haben, z.B. die Bedingung der Notlage als Rechtfertigungsgrund: Darf eine Lüge nicht erlaubt sein, wenn damit ein Leben gerettet werden kann? Diesfalls würde zwar in dieser und ähnlichen Notlagen wohl immer gelogen, was aber akzeptabel wäre, ohne das Verbot der Lüge insgesamt aufzuheben.
Es besteht kein Widerspruch darin, die Institution der Wahrhaftigkeit (Verbot der Lüge) bzw. des Gebots, sich an Versprechen zu halten, aufzuheben. Der kategorische Imperativ verbietet Maximen, die in sich selbst zu einem Widerspruch führen: Ein Versprechen darf nicht mit der Absicht, es zu brechen, gegeben werden. Eine Widersprüchlichkeit wäre indes schon gar nicht erst möglich, wenn das Versprechen als Institution an sich preisgeben würde.
Hegel wandte gegen den kategorischen Imperativ ein, dieses Prüfverfahren liefere entweder keine Resultate, d.h. es führe zu keiner Auskunft über die Zulässigkeit von Maximen, oder aber es lebe von versteckten Voraussetzungen, die es selbst nicht begründen könne. So sei sowohl eine Maxime, das Eigentum anderer zu achten, als auch eine Maxime, sich stets gegen das Eigentum anderer zu wenden, mit der Vorstellung eines allgemeinen Gesetzes vereinbar. Darüber hinaus müsse die Institution des Eigentums bereits existieren resp. vorausgesetzt werden, bevor man den kategorischen Imperativ überhaupt erst darauf anwenden könne.
Pluralistische Deontologie nach Ross
In pluralistischen Theorien der Deontologie, nachfolgend am Beispiel jener von William David Ross erläutert, wird moralisch Relevantes nicht durch ein formales Verfahren festgelegt (kategorischer Imperativ), sondern durch eine Liste materialer (inhaltlicher) moralischer Prinzipien, sogenannte prima facie-Pflichten. Mit "prima facie" ist hier gemeint: Auf den ersten Anschein gültig. Die Liste nach Ross:
Pflichten, die auf vorgängigen, eigenen Handlungen beruhen: 1a) Vertrags- und Versprechenstreue / Wahrhaftigkeitspflicht 1b) Wiedergutmachungspflicht für verursachte Schäden
Pflichten, die auf vorgängigen, von anderen ausgeführten Handlungen beruhen: Dankbarkeitspflicht für von anderen empfangene Hilfeleistungen
Gerechtigkeitspflicht (Verteilungsgerechtigkeit basierend auf Verdienst)
Wohlwollens- und Wohltätigkeitspflicht (analog der konsequentialistischen Nutzenmaximierung)
Selbstvervollkommnungspflicht (in Bezug auf innere Werte)
Pflicht, anderen nicht zu schaden (als Gegenstück zu Pflicht 4.)
Diese Pflichten sind als bedingte Pflichten unter Berücksichtigung aller Umstände zu verstehen, d.h. eine allgemeine prima facie-Pflicht muss vor dem Hintergrund einer konkreten Handlungssituation als all things considered-Pflicht wahrgenommen werden. Sofern eine prima facie-Pflicht in einer konkreten Handlungssituation all things considered nicht wahrgenommen werden kann, hinterlässt sie residuale Pflichten, die stattdessen wahrzunehmen sind. So kann z.B. Pflicht 1a) (Versprechenstreue) in einem Notfall, der die Einhaltung des Versprechens verunmöglicht, die Pflicht 1b) (Wiedergutmachung) in Form einer Entschuldigung nach sich ziehen.
Handelnde sind in besonderem Masse für ihr eigenes Verhalten verantwortlich, d.h. die Erfüllung eigener Pflichten hat Vorrang vor einer möglichen Pflichterfüllung anderer, selbst wenn sich dadurch nicht das bestmögliche Ergebnis erzielen lässt. An einem Beispiel: A droht, C grosses Leid zuzufügen, wenn B nicht D ein kleines Leid zufügt; B ist hier gemäss Ross nicht verpflichtet, D zu schaden.
Die pluralistische Deontologie nach Ross ist insbesondere mit zwei Problemen konfrontiert:
Länge der Liste und Willkürverdacht: Womöglich ist die Liste zu lang oder zu kurz. Dazu müssten sich allenfalls Vollständigkeitskriterien formulieren lassen bzw. es müsste schlüssig begründet werden können, weshalb die Liste genau diese Länge und genau diesen Inhalt hat.
Konflikte zwischen prima facie-Pflichten: Wie ist vorzugehen, wenn in einer konkreten Situation mehrere Pflichten in einer konfliktären Beziehung stehen? Dem wäre mit einer Priorisierung der Pflichten entgegenzuwirken oder aber mit Partikularismus: Allein die konkrete Situation bestimmt den Vorrang einer Pflicht. Ross verlangt von den Handelnden bei Pflichtkollisionen Urteilskraft, z.B. indem das Abwenden von Schaden höher gewichtet wird als das Stiften von Nutzen.
Abgesehen dieser Schwierigkeiten empfehlen sich pluralistische Ansätze jedoch durch ihre Nähe zu unseren moralischen Intuitionen und ihre vergleichsweise einfache Erläuterung und Verständlichkeit.
Die weiteren Zusammenfassungen zur Ethik und andere diesbezügliche Beiträge finden sich hier.
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