Nach einer kurzen Beschreibung der Rechtsphilosophie wird hierin der Rechtsbegriff in seinen zwei grundlegenden Deutungen erläutert (positivistisch / nichtpositivistisch). Abschliessend werden einige der fundamentalen Merkmale von Theorien der Moral aufgezeigt.
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Rechtsphilosophie
Die Rechtsphilosophie befasst sich mit den konstitutiven Fragen des Rechts. Sie wird unterteilt in:
Rechtsethik: Sie analysiert und diskutiert die moralischen Aspekte des Rechts, d.h. von Gesetzen und ihrer Auslegung, und fragt: Was ist moralisch richtiges resp. gerechtes Recht?
Rechtstheorie (empirische, analytische, normative): Die Empirie untersucht die Auswirkungen von Rechtsnormen auf die Gesellschaft. Die Analytik befasst sich mit der Rechtssprache sowie mit Struktur und Aufbau der Rechtsordnung. Die Normativität hat den Begriff des Rechts, die Begründung seiner Geltung und die Methodik der Rechtsanwendung zum Inhalt. Sie fragt: Was ist Recht an sich? Wie kann richtiges oder gerechtes Recht ermittelt werden? Warum gilt Recht?
In der Rechtsethik stellt sich u.a. zur Bestimmung der Grenzen des Rechts die Frage, ob überhaupt und wenn ja, welche moralischen Aspekte zugleich auch Gegenstände des Rechts sein sollten. Hierauf sind unterschiedliche Antworten möglich:
Legaler Moralismus: Jede Gemeinschaft hat das Recht, für ihre Mitglieder eine beliebige Moral per Gesetz zu erzwingen.
Liberale Rechtsethik: Die Funktion des Rechts ist der Schutz der Gemeinschaftsmitglieder vor Schädigungen durch Dritte. Ein Schutz vor Selbstschädigung und ein Schutz vor rein moralischen Schäden lassen sich indes nicht rechtfertigen. Die Mitglieder der Gemeinschaft sollen ihr Leben nach eigenem Gutdünken frei gestalten dürfen, solange sie keine Rechte Dritter verletzen.
Elemente und Auslegung des Rechtsbegriffs
Recht im engeren Sinne, d.h. als von Menschen gesetztes und kodifiziertes Recht, wird als System (Rechtsordnung) von Normen (Gesetzesartikel) verstanden, die einen internen Zusammenhang haben, aber nicht zwingend ohne Konflikte sein müssen. Dies ist das erste Element des Rechtsbegriffs.
Sowohl auf Stufe der einzelnen Norm als auch für die gesamte Rechts- bzw. Normenordnung ist die Bedingung der sozialen Wirksamkeit resp. Geltung massgebend. Soziale Wirksamkeit erlangt Recht über seine tatsächliche Anwendung, d.h. durch die generelle Anerkennung in Form von Zustimmung und/oder Befolgung sowie durch die Durchsetzung mittels Zwangsmassnahmen.
Das dritte Element des Rechtsbegriffs ist die ordnungsmässige Erzeugung und Durchsetzung der Normen, d.h. ihre rechtliche Geltung. Normen werden in einer bestimmten Weise (z.B. Initiative) und durch entsprechend befugte Organe (z.B. Parlament) erzeugt, fortgebildet und durchgesetzt.
Die Lehre des Rechtspositivismus beschränkt sich auf die vorgenannten Elementen des Rechtsbegriffs: zusammenhängendes Normensystem, soziale und rechtliche Geltung bzw. Wirksamkeit. In dieser sogenannten Trennungsthese kann jeder beliebige Inhalt, unbesehen moralischer Aspekte, Recht sein. Oder anders: Rechtspositivismus unterscheidet nach Recht und Nichtrecht, es geht ihm nicht um die Frage nach Recht und Unrecht, infolgedessen trennt er moralische Bestände ab.
Nichtpositivistische, auch als "Naturrecht", "Vernunftrecht" oder "übergesetzliches Recht" bezeichnete Rechtstheorien, verbinden mit dem Rechtsbegriff ein viertes Element, nämlich das Kriterium der Gerechtigkeit bzw. der moralischen Richtigkeit. Diese sogenannte Verbindungsthese unterstellt demnach, Recht leite sich (auch) aus ausserrechtlichen Bedingungen ab, z.B. der Menschenwürde, und es dürfe deshalb im Mindesten nicht extrem ungerecht sein, auch nicht punktuell.
Diskussion des Rechtspositivismus
Der Rechtspositivismus nährt seine Attraktivität aus der Nähe zur Alltagssprache: Üblicherweise sind rechtliche Normen gemeint, nicht moralische, wenn nach Erlaubnissen, Ge- oder Verboten gefragt wird ("darf ich hier parkieren?"). Darüber hinaus führt die begrifflich klare Trennung zwischen Recht und Moral zu Rechtssicherheit, weil die (Un-) Gerechtigkeit einer Norm für die Rechtsprechung ohne Belang ist. Gleichwohl proklamiert der Rechtspositivismus keine generelle Unabhängigkeit von Recht und Moral.
Gegen den Rechtspositivismus werden u.a. zwei Argumente vorgebracht:
Das Unrechtsargument: Wenn Normen und/oder Normensysteme in einem unerträglichen Masse ungerecht sind, verlieren sie die Rechtsgeltung und/oder den Rechtscharakter.
Das Prinzipienargument: Recht besteht nicht nur aus Regeln, sondern auch aus Prinzipien, sodass ein begrifflich notwendiger Zusammenhang zwischen Recht und Moral besteht.
Im Weiteren wohnt dem Rechtspositivismus das Problem inne, dass er das rechtliche Sollen nur schwer rekonstruieren und begründen kann ("Gesetz ist Gesetz, weil es gesetzt ist"). Dieses Sollen ist im Rahmen der Verbindungsthese zwar mittels Moraltheorien einfacher rekonstruier- und begründbar ("Gesetz ist Gesetz, weil es gerecht ist"), sie ist dadurch aber dem Vorwurf ausgesetzt, Rechtsnormen aus subjektiven Einschätzungen zu entwickeln (vgl. Nonkognitivismus in der Metaethik).
Das Unrechtsargument
Das Unrechtsargument wurde mit der Radbruch'schen Formel wie folgt aufgestellt (Gustav Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: SJZ 1946, Sp. 105 (107)):
"Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmässig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Mass erreicht, dass das Gesetz als 'unrichtiges Recht' der Gerechtigkeit zu weichen hat. (...) Wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewusst verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur 'unrichtiges Recht', vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur."
Gegen dieses Unrechtsargument wenden Verfechter des Rechtspositivismus ein, das Kriterium moralischer Unhaltbarkeit würde im Rechtssystem substantielle Verwirrung stiften (Klarheitsargument). Dies wiederum verneinen Vertreter der Verbindungsthese mit der Argumentation, das von Radbruch postulierte "unerträgliche Mass" an Ungerechtigkeit sei für jedermann klar erkennbar und mithin von einem erträglichen Mass trennscharf abgrenzbar, weshalb die Rechtssicherheit ungefährdet sei.
Zudem sehen Rechtspositivisten in der Radbruch'schen Formel eine potentielle Umgehung des Rückwirkungsverbots, wonach keine andere Strafe ausgesprochen werden darf als zum Zeitpunkt der strafbaren Handlung vorgesehen war (gleichwohl hielten auch namhafte Rechtspositivisten für richtig, z.B. NS-Verbrecher im Nachhinein im Rahmen einer temporären und partiellen Ausserkraftsetzung des Rückwirkungsverbots zu bestrafen). Vertreter der Verbindungsthese sehen keine Verletzung des Rückwirkungsverbots und berufen sich wiederum auf die unmittelbare Einsichtigkeit, die bei Unrecht in unerträglichem Masse vorliege: Es sei schon zum Tatzeitpunkt klar, dass Unrecht begangen werde.
Das Prinzipienargument
Während sich das Unrechtsargument auf eine juristische Ausnahmesituation bezieht (unerträgliches Mass an gesetzlicher Ungerechtigkeit), zielt das Prinzipienargument quasi auf den juristischen Alltag ab: Rechtsnormen haben häufig in dem Sinne eine offene Struktur, dass sie vage und/oder mehrdeutig formuliert sind ("Würde der Kreatur") oder wertende Ausdrücke enthalten ("Treu und Glauben"). Das Normensystem in seiner Gesamtheit weist überdies teilweise Lücken auf (fehlende Normen) oder ist punktuell in sich widersprüchlich. Diese offene Struktur des Rechts erzwingt nun bisweilen eine Rechtsprechung unter Bezugnahme auf ausserrechtliche Kriterien (richterliches Ermessen).
Die Lösung des Rechtspositivismus besteht darin, dass eine Richterin im Rahmen ihres Ermessens durch ihre Entscheidung eine neue Rechtsnorm begründe, sich das Recht dabei quasi "on the fly" fortbilde. In der Verbindungsthese wird hingegen postuliert, auch im Ermessenspielraum sei eine Richterin rechtlich gebunden und sie müsse sich darin auf Prinzipien abstützen. Diese behelfsmässig beigezogenen Prinzipien seien nun aber immer auch moralische Prinzipien, was auf einen begrifflichen Zusammenhang zwischen Recht und Moral verweise.
Das Recht insgesamt erhebt Anspruch auf Richtigkeit und dieser Anspruch impliziert nach der Auffassung nichtpositivistischer Theorien einen Anspruch auf moralische Richtigkeit und Begründbarkeit. Gerade in schwierigen Fällen wird die offene Struktur des Rechts manifest, weshalb ein Gericht hier zur Erfüllung des Anspruchs auf Richtigkeit auch ausserrechtliche Prinzipien abwägen muss, d.h. das Gericht muss über ein Sollen entscheiden und dadurch auch moralischen Faktoren berücksichtigen.
Theorien der Moral
Brauchen wir überhaupt Theorien der Moral? Diese Frage könnte grundsätzlich auch verneint werden; man würde sich dann auf den Standpunkt stellen, jede einzelne Handlung müsse fallweise beurteilt werden. Wenn nun aber eine einzelne Handlung als verwerflich beurteilt wird, stellen sich unvermeidlich einige Anschlussfragen: Weshalb (aufgrund welcher Eigenschaften) ist die Handlung verwerflich? Und: Ist die Handlung immer verwerflich und falls nicht, wann ist sie gerechtfertigt (erlaubt / geboten)?
Die Beantwortung dieser Fragen mündet in einen erweiterten theoretischen bzw. systematischen Zusammenhang. Mit zunehmender Verbreiterung des systematischen Zusammenhangs wächst das Vertrauen, die einzelne Handlung "richtig" beurteilt zu haben, worin letztlich das Interesse an einer Theorie begründet liegt.
Systematische Theorien der Moral lassen sich in monistische (ein Prinzip) und pluralistische Theorien (mehrere Prinzipien) aufteilen. Als "Prinzip" kann ein oberster handlungsleitender Grundsatz verstanden werden, der eine Wertung "richtig" oder "falsch" ermöglicht. So ist z.B. die Beförderung des Wohls der Menschen das Prinzip des Utilitarismus und folglich sind dergestalt prinzipientreue, auf dieses Ziel gerichtete Handlungen als "richtig" zu werten. In pluralistischen Theorien wird demgegenüber postuliert, Handlungen könnten aus verschiedenen Gründen (Prinzipien) richtig oder falsch sein.
Die Richtigkeit von Moraltheorien lässt sich nicht experimentell bzw. empirisch beweisen, sondern bloss begründen. Es gibt keine harte, zweifelsfreie und unangreifbare Beweismöglichkeit für eine Aussage "Du sollst nicht töten, weil Töten falsch ist" als Bestandteil einer Moraltheorie. Was u.a. auch darin begründet liegt, dass die Kenntnis der entsprechenden Norm der Moraltheorie vorausgesetzt werden muss, um eine Handlung überhaupt erst als "falsch" bewerten zu können.
An die Stelle eines experimentellen bzw. empirischen Belegs rücken daher einerseits die logischen, rationalen und vernünftigen Gründe, die sich vorbringen lassen, moralische Normen für richtig zu halten. Andererseits deutet ein kohärenter systematischer Zusammenhang einer Theorie der Moral auf ihre Richtigkeit hin, sofern dieser Zusammenhang möglichst vielen zentralen moralischen Intuitionen Rechnung trägt.
Die weiteren Zusammenfassungen zur Ethik und andere diesbezügliche Beiträge finden sich hier.
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